Predigt Oktober 2015

Queergottesdienst am 18.10.2015, St. Johanniskirche Nürnberg

Predigt zu 1. Mose 8,18-22

Einleitung zum Lesungstext

Der heutige Lesungstext hat eine lange und bekannte Vorgeschichte. Zur besseren Einordnung gebe ich euch zunächst eine Zusammenfassung dieser Ereignisse:

Wir befinden uns in der Zeit, in der Gott die große Sintflut auf Erden ankündigte, da er sah, dass die Bosheit der Menschen zunahm und ihre Herzen verdorben sind. Er bereute, die Menschen geschaffen zu haben und es tat seinem Herzen weh. So beschloss er alle Menschen auf der Erde zu vernichten und dazu alle Tiere. Aber Noah fand Gnade vor Gott. Noah war ein gerechter, tadelloser Mann unter seinen Zeitgenossen; er ging seinen Weg mit Gott. Gott teilte Noah seinen Plan mit und gab ihm genaue Anweisung zum Bau einer Arche. Die sollte ihn, seine Frau, seine drei Söhne mit deren Frauen vor der Sintflut schützen, die der Herr über die Erde kommen lassen will, um die Menschen und ihre Schlechtigkeit sowie alle Tiere zu vertilgen. Mit Noah will er einen Bund schließen. Er befiehlt ihm von allen Tieren, von allen Wesen aus Fleisch, je ein Paar, Männchen und Weibchen in die Arche zu nehmen und ein Essensvorrat aufzubauen. Und Noah gehorchte Gott. Er und seine Familie gingen mit allem Getier in die Arche bevor die Wasser der Sintflut auf die Erde kamen. Vierzig Tage und vierzig Nächte strömte Regen auf die Erde nieder, überflutete alles, das Wasser hob die Arche, welche über das Wasser trieb. Die Wassermassen stiegen über alle hohen Berge und verdeckten sie. Alles menschliche und tierische Leben, sogar die Vögel im Himmel wurden ausgelöscht. Allein Noah blieb übrig und was mit ihm in der Arche war. Nachdem die Wasser bis zum hundertfünfzigsten Tage gewaltig anwuchsen, dachte Gott an Noah und alle Tiere in der Arche und ließ die Wassermassen fallen; kein Regen fiel mehr. Das Wasser verlief sich nun auf der Erde und nahm ab. Am siebzehnten Tag des siebten Monats ließ sich die Arche nieder auf das Gebirge Ararat. Bis zum zehnten Monat nahm das Wasser immer mehr ab bis die Spitzen der Berge sichtbar wurden. Nach einem Jahr waren die Wasser vertrocknet auf Erden. Nach ungefähr einem Jahr und drei Monaten war die Erde ganz trocken. Da sprach Gott zu Noah, er soll mit seiner Familie und allen Tieren die Arche verlassen. Alles Getier soll sich auf der Erden wimmeln, fruchtbar sein und sich vermehren.

Und nun die Lesung des Predigttextes aus dem 1. Buch Mose, Kapitel 8, Verse 18-22:

So ging Noah heraus mit seinen Söhnen und mit seiner Frau und den Frauen seiner Söhne, dazu allen wilden Tiere, alles Vieh, alle Vögel und alles Gewürm, das auf Erden kriecht; das ging aus der Arche, ein jedes mit seinesgleichen.

Noah aber baute dem Herrn einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. Und der Herr roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

Predigt zu 1. Mose 8,18-22

Liebe Queergemeinde,

wir haben nun in der Vorgeschichte zum Predigttext gehört, dass die Menschheit an einem Punkt gelangen ist, in dem Gott auf Radikal schaltete: Er vernichtete alles Leben auf Erden, Menschen und Tiere. Es steht geschrieben: Es reute ihn den Menschen gemacht zu haben und es bekümmerte ihn in seinem Herzen (1. Mose 6,6). Wie kann Gott, der Schöpfer, der Allmächtige etwas bereuen? Und wie kann er Schmerz in seinem Herzen verspüren? Das sind doch geradezu menschliche Empfindungen und nicht die eines höheren, allmächtigen Wesens. Diese Fragen bereiten christlichen Theologen Kopfschmerzen. Aber keine Sorge: Wir setzen uns nicht wie bei einem Kirchentag in ein dreistündiges Seminar, an deren Ende diese Fragestellungen ungeklärt bleiben werden und ein anwesender jüdischer Gelehrter fragt: Wo ist das Problem? Machen wir uns hier auch nicht zu große Probleme und betrachten es einfach menschlich so wie Menschen diese Überlieferungen niedergeschrieben haben.

Die Sünde nahm natürlich seinen Ausgangspunkt mit Adam und Eva wie sie im Garten Eden vom verbotenen Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen aßen und schließlich aus dem Paradies vertrieben wurden. Es setzte sich fort mit Kains Mord an seinem Bruder Abel. Und das Böse und Schuldhafte des Menschen nahm so sehr überhand, dass Gott sich sagte, es braucht einen kompletten Neustart. Weg mit dem Alten und nochmal ganz von vorne beginnen. Na ja, nicht ganz: Um die neue Erde wieder zu bevölkern und aufzubauen, erwählte er Noah, nahm ihn und seine Familie von der großen Vernichtung aus. Dieser Noah war ein frommer Mann ohne Tadel, der Gott gehorchte und ihm folgte. Später schloss Gott mit ihm und seinen Nachkommen einen Bund (1. Mose 9,9-11) und als Zeichen gibt er einen Bogen in die Wolken. Wie sagte Eckhart von Hirschhausen einmal: „Gott gab Noah einen Bogen, weil die Menschen den Bogen überspannt haben.“ Der Regenbogen ist eine vertrauensbildende Maßnahme und in dieser farbenträchtigen Symbolik erst recht auch für uns Queers. Gott hat verstanden, dass es keinen Sinn hat uns immer wieder von der Erde zu vertilgen. Gott hat sich „geändert“ und nimmt die Dinge hin, die er beim Menschen nicht ändern kann. Die Sünde wurde in der Sintflut nicht ertränkt. Gott hat ja nicht ausnahmslos alle Menschen vernichtet. Noah und seine Familie verschonte er, aber schickte sie nicht zurück ins Paradies. Nein, die Sünde ist nicht aus der Welt und sie wiederholt sich immer wieder. „Das Dichten trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ Das ist erstmal harter Tobak, aber es sei bemerkt, es gibt unterschiedliche Ausprägungen von böse und schuldig. Man spricht von sündigem Verhalten, ein Abfallen von Gott. Wie kommt es denn zum Klimawandel, wie kommt es denn zu Missernten? Und ich sehe auch keinen Widerspruch zwischen einen Schöpfergott und seinen selbstständigen Kreaturen. Er hat uns nach seinem Vorbild geschaffen und das schließt das selbstständige Denken und Handeln der Menschen mit ein, was Gutes wie Schlechtes bewirken kann: Wir können unseren Weg mit Gott gehen, seinen Weg verlassen, an ihn zweifeln, seine Existenz verleugnen, ihn entdecken bzw. neu entdecken und wieder zu ihm zurückkehren. Wir können mit unseren Mitmenschen handeln, zu unser aller Nutzen, nur zum Nutzen bestimmter Menschen, sie ausnutzen, sich gegen sie richten oder ihnen helfen, auch ohne Vorteil für uns, auf sie zukommen oder sich mit ihnen versöhnen. Es ist kein Programmierfehler Gottes uns die Selbstständigkeit zum Handeln und einen eigenständigen Verstand gegeben zu haben. Ansonsten wären wir alle nur Puppen an Fäden, die Gott mit seinen Fingern steuert. Und weil wir eben keine Marionetten sind, sondern eigenverantwortlich handelnde Geschöpfe, die immer wieder die von Gott gesetzten Grenzen überschreiten, hat er uns seinen Sohn in die Welt gesandt. Durch Jesus Christus erlangen wir Vergebung für unsere Schuld und können uns durch sein Zeugnis bessern, wenn wir den rechten Weg verlassen haben. Und wohlgemerkt, wir sind in der Lage unsere Verfehlungen zu erkennen: Seit Adam und Eva können wir das Gute von dem Bösen unterscheiden. Jesus ist unser Vermittler zu Gott. Paulus stellt fest, wenn er über die Gerechtigkeit vor Gott spricht: Wir sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. (Röm 3,22-24)

Für die Aufnahme eines Menschen in die christliche Gemeinschaft wird bekanntlich Wasser verwendet. Der Täufling wird mit Wasser übergossen oder in anderen christlichen Kirchen auch komplett im Wasser untergetaucht. In der Taufe wird der Täufling gemäß der Lehre Paulus in Christi Tod getauft und mit Christus „begraben in den Tod“. Der Vollzug der Taufe bezeichnet damit die sicht- und erlebbare „Schwelle“ zwischen dem alten Sein des Menschen in der Sünde und dem neuen Sein seines Lebens in Christus. Ihr Wasser „tötet“ und „schenkt Leben“ zugleich. Somit finden sich in mancher Taufliturgie Motive der Sintflut-Erzählung, um die Ambivalenz des Wassers – es macht lebendig und tötet – herauszustellen und an Gott als Retter zu erinnern.

Und unser Schöpfer verspricht uns: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Dazu war es eben auch wichtig Würmer in die Arche zu nehmen, die den Ackerboden auflockern und Vögel, die Schädlinge fressen. Gott hat sich das schon schlau ausgedacht und wir Menschen dürfen nicht einfach ein Baustein – auch wenn er noch so klein, unbedeutend, lästig oder unnütz erscheint –  herausnehmen. Ansonsten wird die Schöpfung instabil und die Natur währt sich, auch zu unserem Nachteil. Die Aufgaben für die Gegenwart sind, die Artenvielfalt der Tiere und Pflanzen zu erhalten. Unsere landwirtschaftlichen Nutzflächen nicht zu überdüngen, mit zu vielen Chemikalien zu behandeln oder riesige Monokulturen anzubauen.

Jedes Jahr feiern wir Erntedank und in den Kirchen werden Früchte des Feldes an den Altar gestellt. Die Bewirtschaftung der Ackerböden und die Ernte sind für dieses Jahr abgeschlossen. Wir danken Gott, dass er Gemüse und Obst gedeihen lies und bitten um die Einsicht, mit den Gaben klug umzugehen zum Nutzen vieler. Nach der Sintflut und dem Verlassen der Arche mit seiner Familie und allen Tieren, die für den Wiederaufbau der Erde notwendig waren, baute Noah dem Herrn einen Altar und gab ihm zur Ehre Brandopfer. Zu Erntedank beten wir: „Es warten alle Augen auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit. Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Guten gesättigt. Du sendest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und du machst neu die Gestalt der Erde. Ich will den Herrn singen mein Leben lang und meinen Gott loben, solange ich bin. Halleluja.“ (Ps 104,27-28.30.33)

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

Predigt September 2015

Queergottesdienst am 20.09.2015, St. Johanniskirche Nürnberg

Predigt zu Lukas, Kap 8, Vers 41/42, 49-56

Liebe Queergemeinde,

wegen Panik-Attacken war ich 3 mal im Theresien-Krankenhaus als Vorsorge für einen möglichen 2. Herzinfarkt. So fühle ich mich in den letzten Monaten wie dieses Mädchen. Diese 12-Jährige steht im Übergang vom Kind zur geschlechtsreifen Frau. Sie kommt zu Ihrer Identität.  Sie ist wie bei der Geburt auf andere angewiesen.  Ihre Eltern sorgen sich. Sie fühlen sich bei der Selbstfindung dieser jungen Frau ohnmächtig und erhoffen von Jesus dem Heilpraktiker Hilfe.Als Synagogenvorsteher  gehrt Jesus wie ein Presbyter zur gehobenen Mittelschicht. Riskiert er sein Ansehen, seine Glaubwürdigkeit, wenn er sich auf diesen Wanderprediger aus Nazareth, heute noch ein Kaff in Galila, wendet? Jesus entspricht der Sitte der Eltern. Er nimmt sie und seine Lieblingsjünger Johannes, Jakobus und Petrus als Zeugen mit in das Krankenzimmer. Die bestellten Klagefrauen und wohlmeinenden Nachbarn wirft er raus und sagt: Das Mädchen schläft!. Die Leute verlachen Ihn. Sie hatten den Spiegeltest wohl schon gemacht: Kein Atem mehr! Der letzte Atemzug war  da Herz/Lungenmaschinen noch nicht erfunden waren  Zeichen des Todes. In einer Übersetzung habe ich gelesen: Jesus legte sich auf das Mädchen. Er wird zumindest Mund-zu-Mund-Beatmung vorgenommen haben und sie so zum Leben wiedererweckt haben. Ein Zungenkuss ist sehr intim und macht erfahrungsgemäß lebendig. Jesus nahm die junge Frau bei der Hand und unterstützte sie aufzustehen. Diese Hand fehlt oft. Der Händedruck zur Begrüßung, zum Friedensgruß ist ein Zeichen der Nähe, der Begegnung. Halte ich den Blickkontakt für 3 Sekunden aus? Ich möchte angesehen werden, um die Erfahrung von Ansehen in der Gemeinschaft zu spüren. Jesus befahl, man solle dem Mädchen zu essen geben. Nach jeder Bestattung ist das Essen und Trinken Stärkungszeichen, da das Leben weitergeht. So bietet uns Jesus bei seinem Gedächnismahl Brot und Traubensaft als Stärkung. Davon ist keiner der anwesenden Gäste ausgeschlossen! Jesus Christus will uns materiell spürbar nahe sein, sich mit uns vereinen. Wir werden aufgefordert, Wasser, Nahrung, überlebensnotwendiges miteinander zu teilen; nicht nur mit deutschen Christen und Natoverbündeten. Mit dieser Kommunion möchte uns Jesus die Eintrittskarte (Unterpfand) zum Leben mit Ihm, dem vom Tod Auferstandenen, schenken. JETZT und von Gegenwart zu Gegenwart. Lassen wir und persönlich darauf ein? (Hier an dieser Kultstätte des Johannisfriedhofs!)

Amen.

Predigt Juni 2015

Queergottesdienst am 21.06.2015, St. Johanniskirche Nürnberg

Predigt zu Markus 4, 30-32

Liebe Queergemeinde,

wir haben so eben ein sehr kurzes Gleichnis gehört, in welchem Jesus das Reich Gottes mit der Senfpflanze vergleicht. Da hat Jesus bei mir persönlich voll ins Schwarze getroffen! Ich als ehemaliger Gastronom hege natürlich gegenüber dem Gewächs "sinapis alba" eine besondere Wertschätzung. Die Pflanze liefert nicht nur Samen, aus denen man die köstliche gelbe Paste namens "Senf" herstellt; sie ist aufgrund ihrer wertvollen Inhaltsstoffe auch noch ein wahrer Gesundbrunnen. Zudem ist die Pflanze selber sehr schön anzuschauen, und, nun ja: sie taugt auch zu einem sehr griffigen Gleichnis in Sachen "Reich Gottes". Und da dringen wir nun zum Eigentlichen vor, nämlich dem Wesen, der Aussage, den inneren Eigenschaften, sowohl der Senfpflanze, als auch des Reich Gottes. Und was sind diese? Ganz einfach: aus etwas ganz Kleinem erwächst etwas ganz Großes. Aus etwas Unscheinbarem, Nebensächlichem, wird etwas Überwältigendes. Allerdings, so haben wir im Vorbereitungsteam bei eingehender Reflektion über den Text gesehen: es wird nicht einfach nur SO ganz groß; es wird nur dann ganz groß, wenn es die richtigen äußeren Bedingungen hat: einen guten Boden, frisches Wasser, Wärme, Licht, und vor allen Dingen benötigt es zum Heranreifen der üppigen Pflanze mit ihren tausenden von Samenkörnern darin: ZEIT. Hat die Senfpflanze (also, das Reich Gottes), alle guten Bedingungen, aber es hat keine Zeit zum Gedeihen, dann kann es niemals wachsen, blühen und Früchte tragen. Die Senfpflanze steht ja nicht urplötzlich einfach so DA. Genau so wie das Reich Gottes nicht einfach so da ist, wenn ich ihm nicht die dafür nötige Zeit gebe. Und in dem Punkt ist die Senfpflanze absolut kompromißlos; sie läßt sich partout nicht zur Eile treiben. Die Vegetationsdauer von sinapis alba beträgt nun einmal 120 Tage. Wie lange die Vegetationsdauer des Reiches Gottes ist, ist leider weder dem Gleichnis zu entnehmen, noch findet man es bei Wikipedia oder bei Google. Zu dieser spannenden Frage gibt es, wie so oft, dann doch wieder keine Antwort. Auch wenn viele Gruppierungen dazu haargenaue Rechnungen aufstellen, angefangen von den Adventisten, über die Mitglieder der Wachturmgesellschaft, weiter zu den Lesern der Palmblattbibliothek in Indien bzw, Myanmar, eigentlich die Klein- und Nebengruppen, die es in allen Religionen dieser Welt gibt. Manche andere wiederum, wie z.B. die Pfingstgemeinden, sind der Meinung, das Reich Gottes kommt wie ein Blitz in mich gesfahren, und wenn mich dieser trifft, liege ich zappelnd und schreiend auf dem Boden.

Eine andere wichtige Eigenschaften von sinapis alba ist folgende: das Wachstum geschieht nahezu geräuschlos, still und ganz leise. Jesus will uns wohl sagen, daß auch das Reich Gottes ganz leise zu uns kommt. Es braucht kein Gewitter, keinen Lärm, kein Toben und Tosen. Auch wenn bestimmte Religionskrieger der festen Überzeugung sind, das Reich Gottes ließe sich nur herbeiführen, indem man auf dem Weg dorthin möglichst viele Ungläubige dazu entführt, vergewaltigt, versklavt, einsperrt oder gar ermordet.

Was haben diese Erkenntnisse nun mit uns als queere Menschen zu tun? Also, zunächst einmal: auch queere Menschen sind ja nicht vom Reich Gottes ausgeschlossen; oder hängt etwa an der Himmelspforte eine Tafel mit einem schwulen Pärchen drauf und der Überschrift: "Wir müssen leider draußen bleiben"? Ich glaube, eher nicht. Auch, wenn manche Glaubensbrüder so tun, als ob sie dieses Schild schon gesehen hätten. Daß diese Binsenweisheiten heute mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, kam ja auch nicht so wie ein Blitz in uns gefahren, das hat ja auch jahrzehntelanger, eigentlich sogar jahrhundertelanger Emanzipationsarbeit bedurft. Und auch dafür haben viele nicht nur ihre Ehre, manche haben sogar ihr Leben dafür verloren. Die Geschichte der schwulen Emanzipationsbewegung ist aufregend, bewegend und spannender wie jeder Sonntagskrimi; und es tauchen in ihr Namen auf wie Hirschfeld, Ulrichs, Praunheim und viele andere. Auch das hat viel Zeit gebraucht, und das allermeiste davon geschah ziemlich leise, außer vielleicht die Impulse von Praunheim. Heute haben wir, Gott sei Dank, Bedingungen für uns erreicht, unter denen es sich würdig und gedeihlich leben läßt. Wie gehen wir nun mit diesem Schatz um? Ich sehe darin für uns einen Auftrag, nämlich, daß wir uns selber mindestens genau so würdig und freundlich behandeln, wie wir es  - zu Recht – von der Öffentlichkeit einfordern. Und gerade auf diesem Gebiet sehe ich doch noch ein bißchen Nachholbedarf in Sachen schwuler Emanzipation; ich brauche da nur einmal hinschauen, wie es den älter werdenden Schwulen in unserer Gesellschaft geht. Leider ist es eben nicht so, daß die schwule Community nur aus lustigen, attraktiven, modisch stilgerecht gekleideten,  sexuell erfolgreichen, wirtschaftlich gut situierten, und dazu noch immer gut gelaunten und intelligenten hübschen jungen Männern besteht, wie man sie von diesen Tagen an auf den verschiedenen CSDs in den verschiedenen Städten sieht; und leider wird von den Medien genau dieses schiefe Bild über uns transportiert. Ich meine, die meisten Schwulen sind entweder alt, krank, nicht dem Schönheitsideal entsprechend, arm, bzw. verarmt, nicht nach D & G bzw. Jack & Jones eingekleidet, nicht dauerpotent, nicht immer so hoch gebildet, und stimmungsmäßig auch oft eher im unteren Bereich angesiedelt bzw. chronisch depressiv, oder suchtkrank oder generell vereinsamt. Und die Verbotsschilder zu genau diesen Menschen sollten wir alle von der Pforte unserer queeren Community schleunigst entfernen.

Amen.

Predigt August 2015 (CSD-Gottesdienst)

CSD-Gottesdienst am 2. August 2015, St. Jakob Nürnberg

„Nürnberg hält zusammen“

Predigt zu 1. Korinther 12,4-13.20-26

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

„Nürnberg hält zusammen“ ist also das Motto des diesjährigen Christopher Street Days. „Nürnberg hält zusammen“ – für was eigentlich? Diese Frage hat sich nicht nur das Vorbereitungsteam für diesen Gottesdienst gestellt, sondern – wie ich auch mitbekommen habe – Vereine wie Fliederlich, die zum Programm und der Gestaltung des CSD beigetragen haben. Diese Nuss galt es zunächst zu knacken. Mit Hilfe einer Erläuterung durch den organisierenden CSD-Verein und natürlich durch lange und tiefgründige Überlegungen unsererseits gelang uns das natürlich.

Und dies führte uns zu dem gerade verlesenen Predigttext aus dem ersten Brief des Apostel Paulus an die Korinther: Viele Gaben – ein Geist, viele Glieder – ein Leib. Wir haben alle verschiedene Gaben, die uns Gott geschenkt hat, aber sie stammen alle von ein und demselben Gott. Wir haben unterschiedliche Aufgaben in der Gemeinde, sie kommen aber alle von dem einen Herr. Es gibt verschiedene Wirkungen des Heiligen Geistes, aber nur einen Gott: Er bewirkt alles in allen. Wie auch immer sich die Gaben des Heiligen Geistes bei jedem einzelnen von uns zeigen, sie sind zum Nutzen der ganzen Gemeinde.

Nun, liebe CSD-Gottesdienstgemeinde, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass einige von euch sagen, also einiges, was Paulus an Gaben da aufzählt, sind ganz bestimmt nicht meine. ‚Ich würde mir bestimmt nicht anmaßen den Willen Gottes durch den Heiligen Geist zu erkennen; Wundertaten kann ich nicht vollbringen, auch wenn mein Arbeitgeber das von mir verlangt; unter die Propheten bin ich auch nicht gegangen; und Geistesoffenbarungen vermag ich auch nicht zu deuten oder zu unterscheiden.’ Ein Mediziner mag unter sein, der Kranke heilt. Dabei muss man kein Arzt sein, um zum Heilungsprozess einer kranken Person beizutragen. Oft habe ich Menschen beten hören: „Gott, sprich ein heilsames Wort.“ Und Gott wirkt durch den Heiligen Geist und durch diejenigen Menschen, die sich zu einem kranken oder gekränkten Menschen wenden und ein tröstendes und heilsames Wort sprechen. In solchen und anderen Situationen hat Gott der einen oder dem anderen im rechten Moment das richtige Wort geschenkt, was in der vorliegenden Bibelübersetzung als „dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden“ wiedergegeben wird.

‚Von den Wundern Jesu ist berichtet, aber ich kann doch kein Wunder tun.’ Ich alleine sicherlich nicht. Aber schließt man sich mit anderen Menschen zusammen, mit vielen Menschen, um ein Ziel zu erreichen, kann es doch passieren, dass dieses für beinahe unmöglich geglaubte Vorhaben am Ende doch erfüllt wird. Es lohnt sich also zusammenzuhalten – in Nürnberg und woanders.

Manche sprechen aus, was Gott ihnen zeigt oder sagt. Es ist sicherlich keine klassische Prophezeiung, wenn unsere Mitmenschen von ihrer Lebensgeschichte, ihren Erlebnissen, Erfahrungen, Einsichten und Schlussfolgerungen erzählen. In Problemlagen, Angst und Bedrohungen erklärt sich für die meisten erst hinterher, wie Gott sie durch diesen steinigen, beschwerlichen oder schlecht erkennbaren Weg begleitet und beschützt hat. Doch können wir aus diesen Erfahrungen und Erkenntnissen nicht auch für die Zukunft lernen? Schließlich haben einige von uns ein oder zwei Diktaturen, den Krieg und die Verfolgung von Homosexuellen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts erlebt. Der CSD-Verein hat mit dem Motto „Nürnberg hält zusammen“ das Kampagnenmotto der Stadt Nürnberg übernommen, als es darum ging, dass Nürnberg auch Ort von Demonstrationen von Rechten werden würde. Dem Verein war völlig klar, sie müssen ein Zeichen der Solidarität setzen. Denn rechtes Gedankengut richtet sich anfangs gegen Menschen mit Migrationshintergrund und letztlich gegen Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen. Kurz nach der Entscheidung für dieses Solidaritäts-Motto, waren auch wir LGBTTIQ* plötzlich Gegenstand von Demonstrationen. Auf einmal diskutierte die AfD gegen uns und die „Besorgten Eltern“ schlossen sich PEGIDA an. – Wenn angefangen wird eine Gruppe zu diskriminieren, bleibt es nicht bei dieser einen Gruppe. Setzt man sich nicht für die Ausgegrenzten ein, gibt es dann irgendwann auch niemanden mehr, der sich für uns einsetzt. Denn alle Gruppen, bei denen wir es unterlassen haben ihnen beizustehen, sind dann auch nicht mehr in der Lage uns zu helfen. Diese Erkenntnis, die der von den Nazis verfolgte Pfarrer Martin Niemöller einmal so treffend formuliert hat und sogar an Mahnmalen im Ausland angebracht ist, muss man sich von Zeit zu Zeit ins Gedächtnis rufen und man ist in der Lage die Entwicklung zu aktuellen Ereignissen zu prophezeien.

Nutzen wir also die Buntheit unserer Gaben, die der eine Geist uns allen schenkt. Gottes Geist der Liebe bewirkt die verschiedenen Gaben: Die Gabe der Solidarität, die Gabe der Gemeinschaft, die Gabe der Wertschätzung und des Respekts, die Gabe der Dankbarkeit für die Vielfalt der Menschen, die Gabe der Annahme und die Gabe des Anpackens. Ja, Gottes Geist wird erst sichtbar in den Geistesgaben, durch die Menschen zusammen agieren. Wir Christen und Christinnen glauben, dass jeder Mensch ein geliebtes Geschöpf Gottes ist und gleichermaßen das Recht auf ein gutes und friedliches Leben hat. Deswegen darf es uns nicht egal sein, was mit den vielen Flüchtlingen, die nach Europa und zu uns nach Deutschland kommen, passiert. Populistische und polemische Argumentationen gegen Asylsuchende spielt nur denen in die Hände, von denen wir uns zu Recht abgrenzen. Diese Leute denken nur in schwarz-weiß oder sind ansonsten nur kleine, unscheinbare graue Mäuse. – Weder schwarz noch grau sind übrigens bei unseren Luftballons vertreten. Und der große weiße Luftballon mit der Aufschrift „Gottes guter Geist der Liebe“ ist natürlich der wichtigste Geist, der alles zusammenfasst, wie weiß die Summe aller Farben ist.

Betrachten wir Paulus Aussagen zu den vielen Gliedern eines Leibes:

„So wie unser Leib aus vielen Gliedern besteht und diese Glieder einen Leib bilden, so besteht auch die Gemeinde Christi aus vielen Gliedern und ist doch ein einziger Leib. Wir alle haben denselben Geist empfangen und gehören darum durch die Taufe zu dem einen Leib Christi, ganz gleich welcher Herkunft; alle sind mit dem gleichen Geist erfüllt.“

Paulus führt weiter aus, dass ein Körperteil auf das andere angewiesen ist und gerade die Glieder, die uns schwach und unbedeutend erscheinen, besonders wichtig sind. Will heißen, wir sollen die Menschen an unserer Arbeitsstelle, im Verein, in der Gemeinde usw., die uns nicht so wichtig erscheinen oder wir gar als „schwaches Glied“ wahrnehmen, nicht unterschätzen und ihnen mehr Bedeutung beimessen. Sie sind wichtig – manche Arbeiten werden vielleicht einfach nicht wahrgenommen, weil sie so selbstverständlich erscheinen, aber den Laden am laufen halten. Ich zumindest möchte mich nicht mit elektronischen Benutzeranträgen für IT-Berechtigungen, mit Materialbestellungen, Hotel- und Dienstkraftwagen-Reservierungen herumschlagen. „Gott hat den Leib zusammengefügt und dem geringeren Glied höhere Ehre gegeben, damit im Leib keine Spaltung sei, sondern die Glieder in gleicher Weise füreinander sorgen.“ Es ist somit kein karitatives Verhalten oder „Gutmenschentum“ Menschen mit vermeintlich oder tatsächlich geringeren Leistungen oder Aufgaben in eine Gemeinschaft oder Arbeitsstelle zu integrieren und ihnen die gleichen Rechte zu gewähren.

„Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.“ – Ich finde, das ist noch zu wenig praktiziert in unserer Welt. An erster Stelle denke ich an unsere von Konkurrenzdenken geprägte Arbeitswelt. Dort und woanders wünschen wir uns, dass „Nürnberg“ in Gottes Geist zusammen hält, da dies der Geist ist, der das Gute im Leben wirkt. Das bedeutet auch, gemeinsames Tun ist nötig, denn wenn ein Glied leidet, durch das ich ja im Geist verbunden bin, leiden alle Glieder mit: Sei es im Europäischen Forum, die Übernahme einer Essenpatenschaft oder dass ich Fremden auf Augenhöhe begegne und mit gemeinsamen Tun die Fremdheit überwinde.

Lasst uns unsere vielfältigen Gaben, die hier so schön durch die bunten Luftballons dargestellt sind, einsetzen, damit Nürnberg zusammenhält für: Mehr Toleranz, LGBTTIQ*-Rechte, dass Menschen mit verschiedenen Hintergründen sich treffen, um konkret etwas auf die Beine zu stellen. Dafür, dass alle gestärkt und neugierig auf Fremde und Fremdes zugehen. Dafür, dass ich und alle anderen in unserer Gesellschaft und unseren Kirchen gleich wertvoll sind, egal wen ich liebe und wer ich bin.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

Predigt Mai 2015

Queergottesdienst am 17.05.2015, St. Johanniskirche Nürnberg

Predigt zu Jesaja 40, 26-31

[Im Anspiel sehen wir zwei Männer, Heinrich Himmel und Erich Erde, die sich darüber unterhalten, was im Leben wichtig ist: Heinrich denkt nur ans Jenseitige, Erich nur ans Diesseitige. Plötzlich halten beide ein, denn „sie hat etwas gezwickt“. Das, was sie in ihrer selbstsicheren Weltdeutung gezwickt hat, ist der Predigttext Jesaja 40, 26-31, das daraufhin verlesen wird]

„Hebt eure Augen auf in die Höhe und seht: Wer hat dies alles Erschaffen? Er, der ihr Heer hervortreten lässt entsprechend seiner Zahl, ruft sie alle mit Namen: Vor ihm, reich an Kraft und stark an Kraft, fehlt kein einziger. Warum sagst du, Jakob, und sprichst, Israel: „Verborgen ist vor Gott mein Weg, mein Recht entgeht meiner Gottheit.“? Erkennst du es nicht? Oder hast du es nicht gehört? Ein ewiger Gott ist der Ewige, der Schöpfer des Himmels und der Erde. Er wird nicht müde noch matt. Seine Einsicht ist unerforschlich. Er gibt den Müden Kraft und und den Ohnmächtigen mehrt er die Stärke. Junge Leute werden müde und Jugendliche straucheln und stürzen. Aber die auf den Ewigen hoffen gewinnen neue Kraft, dass sie auffahren wie die Adler. Sie laufen und werden nicht matt, sie gehen und werden nicht müde.“

Zwei Menschen lesen den heutigen Predigttext.

Zwei Menschen, denen wir gerade schon begegnet sind. Zwei Menschen, die auf ein und demselben Weg sind: Von hier nach dort, von gestern nach morgen. Zwei Menschen, die zwar miteinander zu gehen scheinen, aber doch eigentlich nur nebeneinander gehen. Die zwar den gleichen Weg abschreiten, aber ihn so unterschiedlich sehen, dass sie keine Berührungspunkte mehr haben.

Sie reden aneinander vorbei, weil ihre Wahrnehmungshorizonte praktisch keine Schnittpunkte haben. Sie erinnern mich an ein Gespräch, dass ich mit einem heterosexuellen Bekannten hatte. Er konnte sich auch nach verschiedenen Erklärungsversuchen nicht vorstellen, warum mir die grundsätzliche Gleichstellung in Eherechtsfragen und die allgemeine Offenheit der staatlichen und kirchlichen Heirat für jedes erwachsene Paar so wichtig waren: Immerhin sei die Ehe doch sowieso ein spießbürgerliches Auslaufmodell und veraltet, und er fände das freie Zusammenleben auch viel romantischer. Dass seine Ablehnung der Ehe ein selbstverständliches Vorhandensein der Möglichkeit zu ihr voraussetzte, und wie viel mehr an solch einer Selbstverständlichkeit hängt, wollte nicht in seinen Kopf.

Heinrich und Erich können ihre Selbstverständlichkeiten genauso wenig ablegen wie dieser Bekannte von mir. Sie sind gefangen in ihnen und können nicht über sie hinaus sehen, und so müssen Heinrich Himmel und Erich Erde nebeneinander herlaufen auf ihrem Weg, statt ihn miteinander zu gehen.

Und das ist vielleicht, warum sie die Schriftlesung so zwickt – sie ist wie Kleidung, die nicht ganz passt, sie ist der Tellerrand, der zu niedrig ist, um nicht über ihn hinausschauen zu können. Jetzt müssen sie handeln: Ducken sie sich und lassen das „über den Tellerand blicken“ sein? Behalten sie ihre Selbstverständlichkeiten, auch wenn sie sich dafür ducken müssen?

Sie ducken sich gerne, wenn das passiert, nehmen nur die Teile der Schrift für sich wichtig, die ihnen gerade praktisch erscheinen. Wir haben gesehen, wie sie einander Bibelzitate an den Kopf geworfen haben. Nicht, um sich von ihnen bereichern zu lassen, nicht, um den andere Gott näher zu bringen, nein. Sie taten es, um ihre eigene Meinung mit göttlichen Worten aufzupolieren und sie besser klingen zu lassen. Verfolgen wir einmal, was passiert, wenn diese beiden Menschen nun den Predigttext lesen.

Erich, der Bodenständige, der sich vermutlich selbst als praktischen Realist beschreiben würde, pickt sich zwei Rosinen aus dem Kuchen auf dem Nachbarteller, und duckt sich dann schnell wieder.

Verborgen ist vor Gott mein Weg, mein Recht entgeht meiner Gottheit.“ Ja, eben! Man muss halt für sich selbst sorgen. Gott ist im Himmel, aber auf Erden braucht man eine Rechtsschutzversicherung. Entweder weiß Gott nicht, wenn es mir schlecht geht, oder er tut nichts – am Ende läuft es darauf hinaus, dass ich mir selbst Sicherheiten schaffen muss, damit es mir gut geht. Selbst ist der Mann!

Die andere Rosine lautet: „Junge Leute werden matt und Jugendliche straucheln und stürzen.“ Auch das ist ihm klar – Unglück macht eben vor keinem Halt, ohne Ansehen von Person und Alter. Man sollte halt nicht erst mit fünfzig eine Pflegeversicherung abschließen.

Heinrich sucht sich andere Rosinen aus, aber auch er duckt sich schnell wieder nachdem er sie gefunden hat, weil den Kuchen als ganzes anzusehen, könnte ihn mit Dingen konfrontieren, die nicht zu seinen Selbstverständlichkeiten passen.

„Hebt eure Augen auf in die Höhe!“ liest er, und freut sich: er weiß, wie das weitergeht: Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher kommt mir Hilfe. Meine Hilfe kommt von Gott, der Himmel und Erde gemacht hat – ja, schön. Er fühlt sich bestätigt: Gott sorgt für die seinen.

Er liest weiter und springt etwas, und landet bei „Gott wird nicht müde noch matt. Seine Einsicht ist unerforschlich. Er gibt den Müden Kraft, und den Ohnmächtigen mehrt er die Stärke.“ Und, ja, dann, etwas weiter: „Aber die auf den Ewigen hoffen gewinnen neue Kraft, dass sie auffahren wie die Adler. Sie laufen und werden nicht matt, sie gehen und werden nicht müde.“ Und er sorgt sich etwas, denn er wird schon manchmal matt und müde, aber dann denkt er sich, dass es wohl auf das Gebet bezogen sein wird. Und im Gebet wird er ja nie müde. Oder auf den himmlischen Leib, und der wird ja ganz anders als sein jetziger sein.

Und nun stehen beide da mit ihren Rosinen, glücklich mit der Bestätigung ihrer Selbstverständlichkeiten, und ein Großteil des Kuchens wartet immer noch.

Aber was, wenn sie sich aufrichten würden und es riskieren würden, den ganzen Kuchen, das Schriftwort in seiner Gänze, anzusehen? Was, wenn sie über den Horizont ihres Tellerrandes lang genug hinausschauen würden, um wirklich zu sehen?

Zwei Menschen lesen den heutigen Predigttext.

„Hebt eure Augen auf in die Höhe!“

„Verborgen ist vor Gott mein Weg, mein Recht entgeht meiner Gottheit.“

„Gott wird nicht müde noch matt. Seine Einsicht ist unerforschlich. Er gibt den Müden Kraft, und den Ohnmächtigen mehr er die Stärke.“

„Junge Leute werden matt und Jugendliche straucheln und stürzen.“

„Aber die auf den Ewigen hoffen gewinnen neue Kraft, dass sie auffahren wie die Adler. Sie laufen und werden nicht matt, sie gehen und werden nicht müde.“

...versuchen wir es noch einmal.

„Hebt eure Augen auf in die Höhe und seht: Wer hat dies alles Erschaffen? Er, der ihr Heer hervortreten lässt entsprechend seiner Zahl, ruft sie alle mit Namen: Vor ihm, reich an Kraft und stark an Kraft, fehlt kein einziger.“ Hebt eure Augen auf und seht auf die Schöpfung Gottes! Seht, in welche Welt Gott euch gestellt hat! Ignoriert nicht die Welt um euch herum, in die euch Gott gestellt hat, die zu gestalten und bewahren er euch aufgetragen hat. Aber erinnert euch immer daran, wer sie geschaffen hat, und wem ihr letztlich Rechenschaft schuldig seid. Vergesst ihn nicht, denn er wird euch nicht vergessen, keinen einzigen von euch, wohin ihr auch geht, und wenn es bis zu den Enden der Erde ist.

„Warum sagst du, Jakob, und sprichst, Israel: „Verborgen ist vor Gott mein Weg, mein Recht entgeht meiner Gottheit.“? Erkennst du es nicht? Oder hast du es nicht gehört? Ein ewiger Gott ist der Ewige, der Schöpfer des Himmels und der Erde. Er wird nicht müde noch matt. Seine Einsicht ist unerforschlich.“ Auch wenn es dir scheint, als ob Gott weit weg ist; auch wenn es dir scheint, als ob er sich nicht für dich interessiert oder wegschaut: Er sieht dich. „Vor dem Ewigen, reich und stark an Kraft, fehlt kein einziger“ - Hagar nannte Gott „Du bist der Gott, der mich sieht.“ und das gilt auch für dich.

„Er wird nicht müde noch matt. Seine Einsicht ist unerforschlich. Er gibt den Müden Kraft und und den Ohnmächtigen mehrt er die Stärke. Junge Leute werden müde und Jugendliche straucheln und stürzen. Aber die auf den Ewigen hoffen gewinnen neue Kraft, dass sie auffahren wie die Adler. Sie laufen und werden nicht matt, sie gehen und werden nicht müde.“ Wir Menschen werden müde und matt. Wir können uns aus dieser Ermüdung selbst nicht befreien. Gott wird nicht müde und matt, und von seiner Stärke können wir gerade dann profitieren, wenn wir selbst straucheln oder stürzen – oder, um aus dem Bild zu treten: Wenn das Leben uns Probleme in den Weg legt, die unsere Kräfte zu erschöpfen drohen, können wir in Gebet und Vertrauen an Gott Kraft gewinnen.

Auch, wenn sich das Problem selbst dadurch nicht lösen mag, wird Gott uns doch helfen, es zu tragen. Oder er wird uns tragen, während wir an unserem Problem tragen. Gott ist bei uns und mit uns, aber ist bei und mit uns in unserer Welt, in unseren Lebensvollzügen. Nur wenn wir nicht vergessen, wo wir jetzt, gerade, im Augenblick sind, nur dann können wir seine Stütze und Hoffnung wirklich begreifen.

Wenn wir ermüden an dieser Welt, dann verleiht uns unsere Hoffnung auf Gott Flügel. Aber um diese Flügel zu erlangen, müssen wir uns erst ganz und gar auf diese Welt, in die er uns gestellt hat, einlassen, so dass wir auf ihn zurückgeworfen werden können.

Zwei Menschen lesen den heutigen Predigttext.

Wenn sie über ihren Tellerrand schauen und sich auf den Text und einander einlassen, wenn sie miteinander der ganzen Kuchen betrachten, dann wird er sie sättigen, dann wird er sie bereichern und ihnen so viel mehr geben, als ihre einzelnen, zusammenhanglosen Rosinen es je können.

Jesus hat gesagt, dass er mitten unter uns ist, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind. Als Gemeinde können wir mehr als als einzelne Christen: Wir können mehr vom Kuchen sehen: Mehr Blickwinkel, mehr Perspektiven. Aber wir können auch einander immer wieder dazu bringen, den Kuchen, die heilige Schrift, aufs neue anzusehen. Wir können einander dazu bringen, uns nicht vor dem großen Ganzen zu scheuen. Wir brauchen einander dazu. Damit wir nicht auf einzelne Sätze und Phrasen zurückgeworfen werden und in unserer eigenen kleine Welt versinken, in unseren Selbstverständlichkeiten.

 Damit wir uns immer wieder neu von Gottes Wort zwicken und zwacken lassen. Damit wir ihn immer wieder in unserem Leben sehen, und aus ihm Kraft schöpfen können – in unserem Leben, im Versuch, weder Himmel noch Erde je ganz aus dem Blick zu verlieren.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen.