Predigt Januar 2017

Queergottesdienst am 15. Januar 2017 in St. Johannis

 

Predigt zu 2. Korinther 4. 6-10 „Dunkelheit und Licht“

 

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

 

Wo Licht ist, da ist auch Schatten. Genauso andersherum: Wo Schatten ist, da ist auch Licht. Um Licht und Schatten geht es in dieser Predigt heute.

Marco hat es schon gesagt: ein strahlend gutes Jahr war 2016 nicht. Auch nicht für mich: Privat eine große Durststrecke, Suche nach Kraft.

 

Und viele Todesfälle.

Auch Peter Lustig ist gestorben. Roger Willemsen. Guido Westerwelle. Roger Cicero. Hans-Dietrich Genscher. Prince. Muhammad Ali. Götz George. Manfred Krug. Oleg Popov, der große russische Clown, der die letzten Jahre ganz in der Nähe, in Egloffstein wohnte. Bud Spencer. Fidel Castro. Zsa Zsa Gabor. Und erst zu Silvester habe ich mitbekommen: auch Leonard Cohen!, den ich so mag.

 

Viele schillernde Persönlichkeiten, leuchtende Karrieren, und nun: Spot aus. Dunkelheit.

 

Doch: Es ist ein anderes Leuchten, von dem der Bibeltext spricht. Wir ahnen es, wenn wir nochmal nur an ein oder zwei Menschen aus dieser Liste denken: an den Namen, der uns eben am meisten berührt hat. Um wen trauerst du? – Pause – Es ist wohl nicht so sehr die Berühmtheit, diese irdische Herrlichkeit, die uns bedauern lässt, dass dieser Mensch nicht mehr da ist. Es ist irgend etwas anderes, etwas, das sie oder ihn für uns besonders gemacht hat. Etwas leuchtet. Was ist das?

Luther benutzt die Worte „überschwängliche Kraft“, die Basisbibel spricht von „unserer überragenden Bedeutung“. Etwas unfassbar Großes also. Etwas, das von Gott kommt und nicht von uns. Eben weil wir so verletzlich sind, zerbrechlich an Körper und Geist, ist dieses Große, Kraftvolle, Bedeutungsvolle so erstaunlich, irgendwie heilig. Größer als wir selbst.

 

Verweist dieses „Leuchten“ des berühmten Menschen, der dir fehlen wird, auf Gottes Herrlichkeit? Selbst wenn dieser in seinem Leben nicht viel mit Gott am Hut hatte? Ich denke, keiner von uns kann mit Sicherheit und allgemeingültig sagen, wer wirklich was mit Gott am Hut hatte oder mit wem Gott was am Hut hatte. Es zählt nur die Antwort der eigenen Seele, so wie sie versucht, sich Gott zu nähern.

 

Ich habe beim Vorbereiten die anderen beiden gefragt: Für Markus hat George Michael geleuchtet. Mit seinem musikalischer Partner Andrew Ridgeley war er „Wham!“. Später stritt und trennte sich das Duo. George Michael stritt mit seiner Plattenfirma, wurde

Ende der 90er wegen seiner Homosexualität verhaftet und quasi im Skandal zwangsgeoutet. Dunkelheit. Für Markus war es in früheren Jahren vor allem seine Musik, seine Ausstrahlung, sein Wesen, das ihn berührt hat. Etwas Kraftvolles. Genauer konnte er es mir nicht sagen...

 

Für Marco hat Carrie Fisher geleuchtet, die „junge Prinzessin und alte Rebellin“. Auch ihr Leben war nicht nur eitel Sonnenschein: Ihre Eltern, selbst Promis, trennten sich, als sie zwei Jahre alt war. Nach ihrer Rolle als Prinzessin Leia in Star Wars wagte sie, einige Rollenangebote abzulehnen, die ihr zu klischeehaft weiblich waren. Das schadete ihrer Karriere. Als „Script Doctor“ überarbeitete sie viele Dialoge in Drehbüchern namhafter Filme, ohne im Abspann genannt zu werden. Sie war manisch-depressiv und kämpfte immer wieder mit Alkohol- und Drogenproblemen. 1987 schrieb sie den Roman „Grüße aus Hollywood“, der auch verfilmt wurde. Darin erlaubt sie einen Blick sowohl auf die dreckigen Seiten von Hollywood als auch in ihre eigenen Abgründe. Durch ihren Mut und ihre Offenheit hat sie sicherlich auch anderen geholfen, zu ihren psychischen Schwierigkeiten zu stehen. Licht in einem zerbrechlichen Gefäß.

 

Mir wird Leonard Cohen fehlen: seine dunkle Stimme, vor allem seine Texte, die manchmal so verrätselt und unglaublich sind wie das Leben selbst. Seine Worte stellen dreckigste menschliche Untiefen und heiligste Gefühle nebeneinander und verbinden sie, einfach so.

Das letzte Album, das er veröffentlicht hat, trägt den Titel „You want it darker“ (du willst es dunkler). Im Titelsong spricht er Gott direkt an:

If you are the dealer – let me out of the game

If you are the healer – i'm broken ad lame

Er klingt müde, teilweise fast zynisch. Aber er singt auch: Hineni, hineni, das heißt: ich bin bereit. Vertrauen in größter Dunkelheit.

 

Ein paar weniger berühmte Menschen sind uns viel näher, ihr Leuchten uns vertrauter: Gerald starb Anfang des vergangenen Jahres. Die, denen er Freund war, können sein Licht am besten erkennen, haben eine Ahnung von seiner „überragenden Bedeutung“.

Von Stefan sind mir vor allem anderen seine leuchtenden Augen deutlich im Gedächtnis. Aber auch seine Kraft leuchtet, sein langes und geduldiges Kämpfen, jeder andere hätte möglicherweise schon früher aufgegeben. Erika war für mich eher ein Promi als eine Vertraute, aber mich hat ihre Ausstrahlung von Klarheit und Beharrlichkeit beeindruckt, und auch, wie würdevoll sie es geschafft hat, nötige Hilfe anzunehmen.

(7) Wir tragen dieses Leuchten aber in zerbrechlichen Gefäßen – damit deutlich wird, dass unsere überragende Bedeutung von Gott kommt und nicht aus uns selbst.

 

Was ist mit unserem eigenen Leuchten? Können wir das auch erkennen, jetzt und hier?

Das ist eine schwierige Sache. Was werden die anderen sagen, wenn wir mal gestorben sind, was unsere überschwängliche Kraft, unsere herausragende Bedeutung von Gott war? Ich denke, wir können es nur erahnen. Und das ist auch gut so.

 

Wann leuchtet ihr? – Pause – Ich bekomme eine Ahnung von meinem Leuchten manchmal, wenn ich mit den Queerubim singe. Manchmal auch bei einem Gespräch in meiner Beratungsstelle, wenn es tief geht und sehr gut läuft. Wann fühlst du dich leuchtend? – Pause –

 

Diese leuchtenden Momente... die kann man nur ganz behutsam und ehrfürchtig sehen, sich freuen, vielleicht sich bedanken („Danke!“), und dann wieder wo anders hinschauen (vielleicht auf den Weg oder so).

Diese Predigt kann und soll keine „Leuchtanleitung“ sein. Es geht ja gerade nicht darum, dass wir zum Superman, zur Wonderwoman des Glaubens werden. Dass wir strahlend und erfolgreich sind, weil wir den richtigen Glauben an Gott ergriffen haben und ihn richtig glauben. Dass wir, weil wir so sehr auf dem richtigen Weg sind, unser Leben voll unter Kontrolle haben und unsere Schritte leuchtende Beispiele sind für andere.

Dann fallen wir auf der anderen Seite vom Pferd: Dann käme unsere überragende Bedeutung aus uns selbst und nicht mehr von Gott. Dann wären wir selbst die Mächtige, der Richter über gut und falsch.

 

Ich finde es bisschen schwer, diesen Punkt in Worte zu fassen: Der Wunsch nach Macht und Kontrolle ist ja zutiefst menschlich. Wer möchte nicht Kontrolle haben über das, was einem tagtäglich passiert, vom Wissen über die nötige Versorgung beim Aufstehen bis zum zufriedenen Gefühl beim Schlafengehen? Wer wünscht sich nicht die Macht, Schwieriges zu bewältigen, Beängstigendes abzuwenden, oder in Konflikten die eigene Position klar zu machen und zugleich eine verletzte Reaktion des Gegenübers zu vermeiden?

 

Wir haben Macht, Kraft und Bedeutung. Macht über das was wir sagen und tun. Macht über andere Menschen in unseren Beziehungen, Aufgaben und Rollen. Macht, unserem Leben eine Richtung zu geben.

Wir haben keine Macht. Keine Kontrolle über den Zeitpunkt unseres Lebensendes. Wenig Kontrolle darüber, wie andere sich uns gegenüber verhalten, ja sogar kaum Kontrolle darüber, wie etwas, das wir sagen wollen, vom anderen verstanden wird.

Viel Schlechtes erwächst daraus, wenn wir versuchen, immer mehr und mehr unter Kontrolle zu haben.

Ich vermag alles durch den, der mich mich mächtig macht, Christus“ sagt Paulus in Philipper. Wir haben eine Macht, aber nicht aus unserer eigenen Großartigkeit heraus, sondern geschenkt durch Gott, wann und wie er oder sie will. Es geht um unser Zurückgeworfen-sein auf Gott, nicht um unser Selbst-alles-unter-Kontrolle-haben.

 

Genauso ist es mit unserem Leuchten, denke ich. Wenn ich vor meinem Chor stehe, geht es von allein, dass ich fühle, wie ich Teil von etwas Größerem bin. Wenn ich in Beratung bin, muss ich manchmal aufpassen, dass ich mich nicht verführen lasse von dem grandiosen Gefühl, für jemand anderen eine Art Retter zu sein, und immer ein bisschen Distanz wahren, die dem anderen sagt: ich helfe dir ein bisschen, aber du bist der Spezialist für dich selbst, du bekommst das hin. Nicht ich, der tolle Tim.

 

Wir wissen, wann es uns gut geht und wann nicht. Aber wissen wir, was Dunkelheit ist und was Licht? In den schwersten und dunkelsten Zeiten unseres Lebens gewinnen wir oft erstaunliche Weisheit und Fähigkeiten, die wir sicher nicht erworben hätten, wenn wir jahrelang mit einem Drink in der Hand an einem Strand im Sonnenschein gelegen hätten.

 

Marco hat bei der Vorbereitung von einer Erkrankung im Urlaub erzählt: Ihm ging es schlecht, aber dabei entstand eine Art Reduktion auf das Wesentliche, „was ist wirklich wichtig zu erledigen“. Das war besonders und bewegend für ihn.

 

Jesus hatte seine wohl dunkelsten Stunden im Garten Gethsemane, und am Kreuz, als er zu Gott schrie: „Warum hast du mich verlassen?“ Und wie nahe bringt es uns doch an ihn, wenn selbst er es so dunkel hatte, und es durfte so sein?

 

Natürlich hilft es wenig, wenn es jetzt gerade schwierig und dunkel ist und jemand sagt mir: „Überleg nur mal, was für überschwängliche Kraft und herausragende Besonderheit Fähigkeiten du jetzt gerade gewinnst, oder wie du anderen vielleicht dadurch zu Gott hin hilfst.“ Das Leuchten ist besser sichtbar mit etwas Abstand. Oder in den Augen anderer.

Aber es ist da. Es muss nicht erkämpft oder erarbeitet werden. Es ist, wie der Bibeltext sagt – nicht „so sollte es sein“, sondern „so ist es:“

 

(8) Wir stehen von allen Seiten unter Druck, aber wir werden nicht erdrückt. Wir sind ratlos, aber wir verzweifeln nicht. (9) Wir werden verfolgt, aber wir sind nicht im Stich gelassen. Wir werden zu Boden geworfen, aber wir gehen nicht zugrunde. (10) Tagtäglich erfahren wir am eigenen Leib, was es heißt, mit Jesus zu sterben. Denn an unserem Leib soll ja auch sichtbar werden, was es heißt, mit Jesus neu zu leben.

 

Schließen möchte ich mit einem kurzen Wort von Bertold Brecht, das im Gesangbuch steht:

 

Traue nicht deinen Augen

Traue deinen Ohren nicht

Du siehst Dunkel!

Vielleicht ist es Licht.

 

Dass wir in diesem neuen Jahr immer wieder Vertrauen fassen und uns selbst loslassen, in Gottes Licht hinein, das wünsche ich uns.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in ihren zerbrechlichen Gefäßen in Christus Jesus. Amen.