Predigt September 2017

Queergottesdienst am 17. September 2017 in St. Johannis

 

Predigt zu 1. Petrus 4,9-11 „Jeder soll mit seinen Gaben dienen“

 

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

 

Liebe Queergemeinde,

 

der erste Brief des Apostels Petrus ist ein Rundschreiben an die Gemeinden in Kleinasien. Sein Anlass war die schwierige Situation der Christinnen und Christen dort: wegen ihres Glaubens wurden sie angefeindet und verhöhnt. Darum standen sie in der Gefahr, sich entweder anzupassen oder mit Gewalt zu widersetzen. Petrus erinnert sie daran, dass sie bereit sein müssen, für ihren Glauben auch Leiden auf sich zu nehmen, denn das Leben eines Christen ist oft eine Provokation für seine Umgebung. Der Brief enthält neben diesen grundsätzlichen Feststellungen viele praktische Ratschläge, wie sich Christen in solchen Situationen verhalten können. Er betont aber nicht nur, am Leidensweg Christi teilzuhaben, sondern auch an seiner Herrlichkeit und die Hoffnung, die sich aus dem Glauben an Jesus Christus ergibt.

 

Das 4. Kapitel des 1. Petrusbriefs steht im Zeichen der Endzeit. Gemeint ist damit nicht der Weltuntergang, sondern das Ende des jetzigen Zustands und der Beginn einer neuen, göttlichen Welt. Und so heißt es vor dem vorgelesenen Predigttext: „Das Ende aller Dinge ist nahe. So seid also besonnen und nüchtern, und betet! Vor allem haltet fest an der Liebe zueinander (…)“ (1. Petr 4,7.8a). Und in diesem Lichte lese ich nochmal den ersten Vers unseres Predigttextes: „Seid untereinander gastfreundlich, ohne zu murren.“ Gastfreundschaft war zur damaligen Zeit besonders nötig, weil es keine Gasthäuser in der heutigen Form gab. Doch auch heute hat die Gastfreundschaft – wörtlich bedeutend: Liebe zum Fremden, zum Gast – eine wachsende Bedeutung, sei es von politischer, gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Natur: Die Integration von Flüchtlingen, die Einwanderung von Arbeitskräften oder die Sharing Economy in Form von zum
Beispiel Mitfahrgelegenheiten oder Teilen und Vermieten von Privatwohnungen für Touristen. Jedoch geht es in unserem Text insbesondere um die Mahnung an die Christinnen und Christen: seid gastfreundlich zueinander. Kaum etwas fördert die Gemeinschaft der Gläubigen untereinander so sehr wie die Gastfreundschaft. Ohne sie ist herzliches, frohes Gemeindeleben gar nicht möglich. Dabei geht es nicht nur um die Anbietung von Übernachtungsquartieren, sondern um von Herzen kommende, freundliche Aufnahme ins Haus bei verschiedensten Anlässen. Gastfreundlichkeit setzt Liebe voraus, Offenheit für Bruder und Schwester und das Aufgeben von Bequemlichkeit und Egoismus. Es fordert auch Opfer an Zeit und Kraft, manchmal auch an Geld. Daher sagt Petrus: Seid gastfreundlich zueinander ohne Murren. Murren verdirbt die beste Tat. Es ist besser, gar keine Gäste aufzunehmen, als es unter Klagen zu machen. Das Klagen vergiftet das gegenseitige Verhältnis. Ohne Meckern gastfreundlich zu sein ist nicht so sehr eine Frage des Wohnraums. Auf die Einstellung des Herzens kommt es an, auf die Zuwendung zum Bruder oder zur Schwester. Das bedeutet dann auch, niemand muss fremde Menschen in seine Wohnung aufnehmen, wenn ihm nicht wohl dabei ist. Ich zum Beispiel mag so etwas nicht.

 

Dient einander als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat.“ Das war der Schlüsselsatz in unserer Vorbereitung und hat diesem Queergottesdienst den Titel geben „Jeder soll mit seinen Gaben dienen“. Dieser Satz heißt, jede und jeder soll seine Fähigkeiten und Kenntnisse einsetzen für den Anderen, die Gesellschaft und zum Allgemeinwohl beitragen. Dieser Vers ist ein Verweis auf den Römerbrief und den 1. Korintherbrief: „Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist.“ (1. Kor 12,4) Unser Körper besteht aus vielen Teilen, die ganz unterschiedliche Funktionen haben. Ebenso ist es mit uns Christinnen und Christen. Gemeinsam bilden wir alle den Leib Christi – die Gemeinde –, und jede und jeder einzelne ist auf die anderen angewiesen. Gott hat jedem von uns durch seinen Heiligen Geist unterschiedliche Gaben geschenkt. (Röm 12,4-6) Jemand kann Worte der Weisheit sagen, jemand anders kann Erkenntnis oder Glaubenskraft vermitteln. Andere können Krankheiten heilen, sind zum Lehren berufen, andere können Trost spenden oder sind zu Leitungsfunktionen befähigt. Wer Kranken und Alte zu pflegen hat, soll dies in Freunde tun. Wie auch immer sich die Gaben bei jedem einzelnen von uns zeigen, sie sind zum Nutzen der ganzen Gemeinde bestimmt (1. Kor 12,7).

 

Damit heißt es aber auch – und das ist mir komischer Weise beim ersten Lesen gleich in den Sinn gekommen – du sollst deine Gaben nicht zurückhalten, ob bewusst oder unbewusst. Auch hier werden wir ermahnt solidarisch zu sein und nicht aus Eigennutz oder Bequemlichkeit unsere Fähigkeiten nicht einzusetzen. Oder weil man seine Möglichkeiten erkannt hat, sich von seinen Mitmenschen abgrenzen möchte, die diese Begabung nicht besitzen. Kinder finden ihre Talente, Eltern und Lehrer müssen diese fördern. Und auch Erwachsene müssen manchmal erst ihre Begabungen entdecken oder weiterentwickeln. Der sorgfältige und verantwortungsvolle Umgang mit unseren Gaben verpflichtet uns, diese nicht zulasten anderer Menschen auszunutzen. Wer gibt, soll es ohne Hintergedanken tuen. Die Gaben, die wir von Gott geschenkt bekommen haben, sollen wir gut verwalten, bedeutet auch: Gott verlangt von uns auch nicht mehr als wir können. Nicht mehr leisten zu müssen als ich in der Lage bin zu tun, ist beruhigend und gilt beruflich wie privat. Diese Aussage steht oftmals im Kontrast zur Arbeitswelt: Stellenausschreibungen sind oft nicht gabenfreundlich. Es wird zu viel gefordert, zu viele Fähigkeiten und Kenntnisse, zu lange Berufserfahrung verlangt und krank und zu alt soll man natürlich auch nicht sein.

 

Wer redet, der rede mit den Worten, die Gott ihm gibt; wer dient, der diene aus der Kraft, die Gott verleiht.“ In der Gemeinde spricht das insbesondere, aber nicht ausschließlich, die Theologen oder Laien wie ich an, die die Heilige Schrift auslegen. Die Predigt muss im Bewusstsein gehalten werden, dass es die Deutung von Gottes Wort ist, das niemals vollständig vom Prediger und der Gemeinde verstanden werden kann. Im Glauben bleibt immer ein Geheimnis übrig, denn Gott wird immer ein Geheimnis für uns sein. Die Predigt darf nicht für die Abarbeitung der eigenen Agenda benutzt werden. Jesus Christus wird in der Auslegung gepriesen, nicht meine rhetorischen Fähigkeiten und nicht meine Person.

 

Wer dient, der diene aus der Kraft, die Gott verleiht.“ Auch queere Menschen können und sollen predigen, wenn sie die Fähigkeiten haben und sich dazu berufen fühlen. Jede Gabe kann für Christus eingesetzt werden, unabhängig von der sexuellen Orientierung. Die Gabe kommt von Gott. Dienen aus voller Kraft und in allen Dingen zur Ehre Gottes: Das ist eine Lebenseinstellung, die man heute kaum noch findet. Als Beispiel haben wir die Diakonissen in Neuendettelsau gehört. Das griechische >diakonein< (= dienen) prägte unser Wort „Diakonie“. Ursprünglich heißt >diakonein< „zu Tische dienen“ und meint im Neuen Testament Hilfe für leibliche, aber auch für geistliche Nöte und Bedürfnisse. Dass Petrus von den vielen Gnadengaben gerade hier das >diakonein< nennt, zeigt, wie wichtig es in der lebendigen Gemeinde ist. Richtiges Gemeindeleben wird sich immer auch in Diakonie äußern. Es ist hier keine besondere Mahnung an Diakone und Diakonissen gegeben, sondern an die gesamte Gemeinde. Petrus geht davon aus, dass es in der Gemeinde viele Dienende gibt. Alle Jüngerinnen und Jünger sind angewiesen zu dienen. Wohl hat es zur Zeit des Neuen Testaments schon Anfänge des Diakonen- und Diakonissendienstes gegeben. Die Mahnung des Petrus an die gesamte Gemeinde zeigt jedoch, dass diese geordneten Dienste nicht das diakonische Handeln der übrigen Gemeindemitglieder überflüssig machen. Die diakonische Aufgabe ist so groß, dass das diakonische „Amt“ des einzelnen und das diakonische Handeln aller Gemeindemitglieder sich gegenseitig ergänzen müssen. Wenn jemand dient, dann aus der Kraft (oder „Stärke“), die Gott verleiht. In der Kraft, die Gott darreicht, liegen theologisch und geschichtlich die Wurzeln der Diakonie. Wirkliche Diakonie kann deshalb nur jemand ausüben, der täglich aus der Kraft lebt, die Gott ihm gewährt.

 

So wird in allem Gott verherrlicht durch Jesus Christus. Sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit.“ Es ist bezeichnend, dass dieser Abschnitt mit dem Blick auf Gott endet. Christinnen und Christen sind berufen, etwas zu sein zum Lob der Herrlichkeit Gottes. Darauf zielt das Wirken Jesu. Darauf zielt auch der Heilige Geist in den Gläubigen. Ein Christ ist nicht für sich selbst da. Wo er sich zum Mittelpunkt macht, verfehlt er seine Bestimmung. Immer geht es um Gott und seine Ehre. Das ganze Leben, auch die geschwisterliche Liebe, die Gastfreundschaft und die Diakonie hat Grund und Ziel in Gott: Damit in allem Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Im Dienst an Bruder und Schwester ehrt der Christ Gott. In allem soll Gott gepriesen werden. Ein Christ kann nichts ohne Jesus tun, auch nicht Gott die ihm gebührende Ehre geben. Was er zu Gottes Ehre tut, geschieht durch Jesus Christus. Jesus ist es, der seine Gemeinde aus der Gottesferne herausgerufen hat. Und mit einem Lobpreis „Sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit“ schließt dieser Abschnitt und betont und bekennt damit: Wie groß ist unser Gott!

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.