Predigt April 2011

Queergottesdienst am 17.04.2011

Predigt von Silvia Jühne zu Markus 14, 3-9

"Die Salbung in Betanien: Tat eines Freaks oder Offenbarung des Messias?
(Mk 14, 3-9)"

Predigttext: Markus 14, 3-9 (nach der Einheitsübersetzung)

Predigt

Liebe Queergemeinde,

heute ist Palmsonntag. Wir stehen am Beginn der Karwoche und ziehen in der kommenden Woche in Erinnerung den Weg Jesu in Jerusalem, durch die Verhaftung, Befragungen, Folter und Erniedrigungen bis hin zu seinem Tod am Kreuz nach. Und dann - am dritten Tag dürfen wir uns auch an die Auferstehung, das neue Leben erinnern, das mit Jesus Christus begonnen hat.

In der Erzählung von der Salbung in Betanien stehen wir noch ganz am Anfang von Jesu Zeit in Jerusalem. Er ist mit seinen Jüngerinnen und Jüngern den Weg aus Galiläa nach Jerusalem gekommen, um in er Hauptstadt das Pessachfest zu feiern - eines der großen Glaubensfeste im Judentum. Auf dem Weg in die große Stadt ist es Abend geworden und sie konnten im Haus eines armen Menschen einkehren. Simon der Aussätzige - allein der Name lässt vermuten, dass der Gastgeber nicht gerade geachtet war am Ort. Aber Jesus ist bei ihm. Genau an diesem Abend und in dieser Situation kommt die unbekannte Frau ins Haus gelaufen und stört eigentlich die Gespräche und die Gemeinschaft.

Kein Wunder, dass einige unwillig sind über diese Störung. Und dazu ist es noch eine Frau, die sich das erlaubt. Das ist ja noch schöner!

Aber eigentlich geschieht dann nichts Unerhörtes, sondern etwas, das dem Messias, dem Gesalbten Gottes, eigentlich entspricht. Die unbekannte Frau gießt kostbares Pflanzenöl über ihn - in etwa solches, wie wir es vorhin riechen und spüren durften. Und mit diesem kostbaren Öl salbt sie ihn, macht sie ihn zum Gesalbten.

Vielleicht fallen einigen von Euch andere Salbungsszenen aus der Bibel ein. Immer hat es mit Wertschätzung und mit einem Dienst aus Liebe und Verehrung zu tun. Es geht darum, dem oder der anderen etwas Gutes zu tun, aber auch ihn zu stärken. So wurden zur Zeit des Alten Testamentes Priester für ihren Dienst gesalbt, aber auch Könige wie Saul und David durch den Propheten Samuel in ihr Amt eingesetzt. Die Salbung machte sie zu Beauftragten Gottes.

Aber auch Kranke und Verletzte werden gesalbt, wie beim Barmherzigen Samariter, um Wunden zu heilen. Und nicht zuletzt werden die Toten gesalbt, um ihnen einen letzten Dienst der Liebe zu erweisen.

Genau so interpretiert dann ja auch Jesus die Tat der unbekannten Frau! Ob sie das geahnt hat, dass Jesus nicht mehr lange Zeit zu leben hat? Oder hat sie vielleicht einfach nur gedacht: Wer weiß, wann ich noch einmal die Gelegenheit haben werde, Jesus direkt zu begegnen? Besser ich ergreife heute die Gelegenheit, Jesus meine Bewunderung und Liebe gegenüber auszudrücken, als dass ich es nie tue!!"

Und so nimmt sie das Fläschchen mit dem Öl aus der Nardenpflanze, das nur im Himalaya hergestellt wird und deshalb bis heute kostbar ist. Ob die Frau wohlhabend war, wissen wir nicht. Vielleicht hat sie auch ihr ganzes Erspartes hergegeben, um Jesus zu zeigen, wie sehr sie ihn verehrt. 300 Silbegroschen entsprachen jedenfalls damals dem Jahreseinkommen eines Landarbeiters.

Kostbares Nardenöl hat sie gewählt. Vermutlich hat das auch einen Grund. Denn die Narde ist eine Heilpflanze, mit besonderer Wirkung. Sie dient der Stärkung des ganzen Organismus, aber auch des Bewusstseins und sie wirkt beruhigend und ausgleichend. Alles Eigenschaften, die Jesus für den schweren Weg, der vor ihm lag, gut brauchen konnte: Stärkung, Ausgeglichenheit, und ein gestärktes Bewusstsein, um gut bei sich bleiben zu können.

Mit diesem Öl und mit dem Mut des "Jetzt oder Nie" im Herzen stürmt die unbekannte Frau also in die Abendessensrunde und salbt Jesus - eigentlich eine sehr zärtliche, ja fast intime Tat.

Die anderen Menschen, die auch anwesend waren, fanden das gar nicht so gut. Sie waren überrascht, fühlten sich vielleicht gestört, ein paar fanden die Salbung vielleicht auch zu intim, um sie in dieser Runde mitzuerleben. Und was tun viele Menschen, wenn sie von etwas überrascht und überrumpelt sind? Sie verurteilen und bewerten, sind erst mal unwillig und lehnen das Erlebte schnell ab. Und dann suchen sie etwas Vernünftiges, was man sagen könnte. Vielleicht ist das der Hintergrund der Rede, die nun kommt: "Welche Verschwendung!!! Mit dem Verkauf des Salböls hätten wir vielen Armen etwas Gutes tun können!" Und mit dieser Kritik machen sie zugleich deutlich, was für ein törichtes Weib die unbekannte Frau ist.

Vielleicht waren einige ja auch ein wenig neidisch, so nach dem Motto: "Warum habe ich das nicht schon längst mal gemacht, Jesus gegenüber meine Verehrung deutlich auszudrücken?" Es gibt viele Gründe für die Abwehrreaktion. Und natürlich ist das Argument mit den Armen, die Hilfe brauchen, nicht vom Tisch zu wischen. Und doch hat die ganze Kritik einen Zug von: Nicht-Gönnen-Wollen. Die Tat der Frau ist getan. Das Öl ist bei der Salbung verbraucht. Warum ist nun noch das Nachtarokken nötig? Hat Jesus das etwas nicht verdient, Liebe und Verehrung gezeigt zu bekommen?

Aber vielleicht haben die Freundinnen und Freunde Jesu es ja noch nicht wahrhaben wollen, dass sein Tod unmittelbar bevor steht. Ihm direkt Verehrung entgegen zu bringen hat nicht mehr lange Zeit. Jetzt ist die Situation, Jesus zu salben. In einer Woche wäre es zu spät!!

So neigen die Freundinnen und Freunde um Jesus dazu, seine Anwesenheit selbstverständlich zu nehmen. Und im alltäglichen Zusammensein mit dem Messias Jesus, kann es schon mal passieren, dass man sich das nicht mehr so bewusst machte, dass man mit dem Messias unterwegs war. Es wurde selbstverständlich.

Die unbekannte Frau reißt alle miteinander aus der Selbstverständlichkeit heraus, macht bewusst und zeigt es durch ihre Tat, dass der Messias, der Gesalbte unter ihnen ist, und sie macht bewusst, dass er nicht mehr lange zu leben hat.

Jesus versteht ihr Tun als eine Tat der Liebe und der Wertschätzung, und auch als eine intuitive Tat des Vorwegnehmens seiner Totensalbung, die durch die Auferstehung nicht mehr möglich sein würde. Denken wir nur an die Ostergeschichten, wo die Frauen mit ihren Salbgefäßen vor dem leeren Grab stehen.

Ja, vielleicht hatten Jesu Freundinnen und Freunde im Alltag mit ihm ein wenig den Blick für das Besondere an ihm verloren und die Unbekannte öffnete nun wieder die Augen.

"Die Salbung in Betanien: Tat eines Freaks oder Offenbarung des Messias" - haben wir unseren Gottesdienst überschrieben. In der Tat steckt in der unbekannten Frau ganz viel Verehrung, ja vielleicht würde man das heute sogar einen etwas extremen Fangeist nennen. Immerhin opfert sie große Kostbarkeiten für Jesus. Aber sie hat im Leben Jesu und besonders hier am Beginn seines Endes auch eine wichtige Rolle: Sie macht Jesus erst zum Gesalbten und offenbart ihn somit als Messias. Sie stärkt ihn zudem für den Weg seines Leidens einerseits durch ihre Zuwendung, andererseits durch die Wirkung des Heilöls. Und schließlich nimmt sie die Salbung des Toten als weiteren Liebesdienst vorweg. Und aus all diesen Gründen nimmt Jesus sie auch vor den Umstehenden in Schutz. -

Wie sieht das nun bei uns heute aus? Wie drücken wir jemand anderem gegenüber unsere Liebe und Verehrung aus? Wir schreiben vielleicht Briefe und schicken mal einen Strauß Blumen. Auf jeden Fall wird die Verehrung ausgesprochen. Andere führen den Angebeteten ins Theater oder Kino oder überlegen sich einen anderen schönen Event, der Freude bereiten könnte. Verehrung drückt sich auch heute noch darin aus, dem oder der Verehrten einen Liebesdienst zu tun, ihm oder ihr etwas Gutes zu gönnen, ihn oder sie zu unterstützen. Nur die Symbole, die wir dazu einsetzen, sind heute andere.

Aber wir geht es uns das mit Jesus? Wie können wir heute noch unsere Verehrung Jesus gegenüber ausdrücken? Oder ist das vielleicht inzwischen etwas anders geworden? Denn immerhin trete ich bei Jesus keinem realen Menschen direkt gegenüber. Oder doch? Ja, ich denke Jesus selbst begegnet uns bis heute in den Geringsten und Ärmsten unserer Welt. Jesus selbst hat das einmal gesagt. Was wir diesen Geringsten getan haben, das haben wir ihm getan. Vielleicht ist es dann doch für uns heute ein sehr guter Weg, die Verehrung und Liebe zu Jesus darin auszudrücken, dass wir armen und bedürftigen Menschen helfen.

Doch trotz allem darf es ab und zu auch einmal einen unvernünftigen Akt der Verehrung geben - so wie ihn die unbekannte Frau vollzogen hat.

Amen.