Predigt August 2005 (CSD-Gottesdienst)

CSD Gottesdienst am Sonntag, den 7. August 2005

Texte zu den Stationen

1. Station:

Bibeltext:

1. Station: Sklaverei

In Ägypten herrschte ein neuer König...“ . Er fürchtete, das Volk der Israeliten könnte zu stark werden“...“ . Deshalb sagte er zu seinem Volk: „Wir müssen etwas gegen sie tun, damit sie nicht noch mehr werden.“

Und so machte er die Israeliten zu Zwangsarbeitern“...“ und die Aufseher des Pharao schwangen die Peitsche über sie.“...“

Zuletzt mussten die Israeliten Sklavenarbeit aller Art machen und wurden gezwungen, auf den Feldern und in den Ziegelwerkstätten die härteste Arbeit zu tun. Das waren lauter Arbeiten, zu denen sie mit Gewalt getrieben wurden, und die Ägypter machten ihnen das Leben so schwer wie möglich.“

Aktualisierung:

„- In der Gesellschaft wird das Thema Homosexualität nicht sichtbar.
Ich weiß nicht, dass es diese Alternative und Möglichkeit zu Lieben gibt.

- Ich will dazugehören: Meine Freundinnen haben Freunde, ich will auch mit einem „gehen“ und mitreden können.

- Auch in der Familie stecke ich in Traditionen und Strukturen, die erwartet werden: Ich heirate nach fünf Jahren Beziehung den Mann, mit dem ich in „wilder“ Ehe gelebt habe.

- Wir lebten wie Geschwister miteinander. Ich fühlte mich gefangen innerhalb körperlicher Erwartungen, ich quälte mich mit dem Nichtgerechtwerden gelebter Sexualität meinem Mann gegenüber.

- Ich verliebe mich in eine Frau, breche aus, breche auf, finde zu mir, verstehe mich, bekomme Antwort auf viele quälenden Fragen.

- Gleichzeitig zerbreche ich fast vor Angst:

* Wie komme ich mit meiner Familie zurecht?

   Werden sie mich ausschließen, beschimpfen, ablehnen?

* Ich stoße bei Freunden auf Unverständnis. Sie wenden sich von mir ab. Ich stehe allein da.

   Ein langjährig gepflegtes Sozialnetz zerreißt.

* Werde ich meinen Job in der Kirche behalten?“

2. Station:

Bibeltext:

2. Station: Rotes Meer

Mose setzte einen Tag fest an dem das ganze Volk sich zum Auszug bereit halten sollte. Und sie brachen auf“

H: Jetzt reicht´s! Diese ständige Unterdrückung und Heimlichtuerei mach ich nicht mehr mit: Am Sonntag beim Kaffee sag ich´s meinen Eltern!

S:  Auf die Geburtstagsfeier von meinem Chef bringe ich meinen Freund mit. Sollen sie doch denken, was sie wollen. Das ist mir egal!

H: Im November des Jahres 2000 beschlossen sieben Lesben und Schwule, die sich vorher noch nicht gekannt hatten, einen Queergottesdienst zu gründen. Der Anfang war gemacht!

Bibeltext:

Und sie brachen auf von Ramses nach Sukkoth. Der Herr aber zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule und bei Nacht in einer Feuersäule.

S: Der war klasse, der Zug. Ganz offen liefen wir durch die Stadt. Und die Sonne strahlte auf nackte, gebräunte Haut.

H: Als ich zum ersten Mal in München beim CSD-Umzug mitgelaufen bin, mit all den anderen, war ich so richtig stolz.

S: Ich hab von einem Wagen ein Cruising-Pack gefangen. Das hab ich heut noch.

H: Und in der Frauendisco hab ich sofort gewusst: Hier bin ich richtig. Da gehöre ich dazu, auch wenn ich keine der Frauen gekannt habe.

Bibeltext:

„Als nun dem König von Ägypten gemeldet wurde, dass das Volk Israel geflohen war, da“...“ ließ er seinen Streitwagen anspannen und bot alle Krieger auf, dass sie mit ihm zogen. Sechshundert der besten Streitwagen Ägyptens, und er ließ sie mit Wagenkämpfern besetzen.

Und alle Hauptleute und Heerführer waren mit ihm.“...“ Und die ganze ägyptische Kriegsmacht mit Wagen, Rossen und Reitern jagte hinter den Israeliten her und erreichte sie am Roten Meer.“

H: O Gott, die Verfolger sind da. Jetzt ist alles aus! Ich hab´s ja gewusst: Wär ich bloß normal geblieben!

S: Die Bibel hat eben doch recht: Das sind „schändliche Leidenschaften!“ „Wer so handelt, der verdient den Tod!“

H: Mein Vater ist völlig wütend, weil ich mich bei ihm geoutet habe.

S: Meine Freunde gucken mich schon so komisch an. Gleich sagen sie: Lösch sofort meine Handynummer, du schwule Sau!

Bibeltext:

„Und Mose steckte seine Hand über das Meer, und Gott trieb die ganze Nacht das Meer durch einen starken Ostwind zurück. So gingen die Israeliten mitten im Meer im Trockenen.

Die Ägypter aber jagten nach“...“, der Pharao mit Rossen, Reitern und Wagen, mitten ins Meer hinein.“...“ Und das zurückflutende Wasser schlug zusammen über den Wagen und Reitern und der ganzen Streitmacht des Pharao, die ihnen ins Meer gefolgt waren, und keiner von ihnen blieb am Leben.

Die Israeliten aber waren mitten durch das Meer auf dem Trockenem gegangen.“

S: Und wo war jetzt das Problem? Vor was hatten wir eigentlich Angst?

H: Wie hat denn dein Chef jetzt wirklich auf deine Offenbarung reagiert:

S: Mit den Achseln gezuckt und gefragt: Sie meinen wohl, sie sind der einzige in der Firma?

H: Meine Nachbarin meinte: Das hat sie sich schon immer gedacht. Sie hat damit kein Problem.

S: Meine Eltern wünschen sich nur, dass ich so glücklich werde.

Bibeltext:

„So errettete Gott an diesem Tage das Volk Israel vor der Übermacht der Ägypter. Am Schilfmeer hielten Mose und das Volk einen Dankgottesdienst ab.“...“ Und sie sangen und lobten Gott.“

3. Station: Wüste

Bibeltext:

3. Station: Wüste

Als sie vom Schilfmeer weiterzogen, wanderten sie drei Tage durch die Wüste Sur und fanden kein Wasser. Dann kamen sie nach Mara. Dort war eine Quelle, aber es war bitteres Wasser und sie konnten es nicht trinken. Da fing das Volk an, gegen Mose zu murren. „Was sollen wir jetzt trinken?“ Und Mose rief laut Gott um Hilfe an und Gott zeigte ihm Holz von einer Pflanze. Dieses Holz warf er ins Wasser, und das Wasser wurde süß, sodass man es trinken konnte.

Aktualisierung:

Jedes Coming—out ist anders. Bei mir begann es mit 28 Jahren.
Im Rahmen der Akademie Remscheid für musische Bildung begegnete mir Hildegard Hagen. Sie war Bewährungshelferin in Frankfurt am Main und machte mir Mut, zu meinen aufbrechenden Gefühlen und sexuellen Wünschen Männern gegenüber zu stehen.
Sie selbst lebte seit 7 Jahren in einer lesbischen Partnerschaft. Diese meinte sie jedoch aus beruflichen Gründen verstecken zu müssen, zumal sie mit der Fortbildung ehrenamtlicher Helferinnen im Justizvollzugsdienst — ähnlich den Grünen Damen in Krankenhäusern —betraut war.
Hildegard Hagen, die mir Brückenbauerin war, bekam für sich selbst keine Luft mehr und erhängte sich beim Novembervollmond 1978 im Alter von 34 Jahren. Die Selbsttötungrate ist bei Homosexuellen, besonders bei Jugendlichen während des Selbstfindungsprozesses auffallend hoch.
Sind die MitarbeiterInnen Allgemeiner Lebensberatungsstellen ausreichend über homosexuelle Lebensweisen aufgeklärt? Besteht bei den Psychologen nicht doch noch die Auffassung, Homosexualität sei eine frühkindliche Fehlentwicklung, die ausheilbar sei?

Wie und wo finde ich gleichgeschlechtlich Orientierte? Auf der öffentlichen Toilette am Bahnhof oder auf der Autobahnraststätte?

Ich fand die Initiative Homosexualität (IHM) in Mainz, durch die ich meine Identität, mein Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl als Homosexueller gefunden habe.

Ich war Mitbegründer der Selbsthilfegruppe Bamberg (IHBa), die als Uferlos e.V. im letzten Sommer ihr 25 jähriges Bestehen feierte.

Als offen schwuler Sozialarbeiter fand ich dann einen Arbeitsplatz in der AIDS-Arbeit, Prävention, Betreuung, Sterbebegleitung.

Nun bin ich selbst nach 30 Jahren Sozialarbeit ausgebrannt und kämpfe um die Anerkennung zur Berufsunfähigkeitsrente. Den römischen Normen eines Kardinal Ratzingers fühlte sich meine Mutter vor ihrem Gewissen verpflichtet. Sie meinte bis kurz vor ihrem Tod, mich von meinem sündigen Treiben abhalten zu müssen. Ein Familienkonflikt, der 20 Jahre andauerte. Ich lebe keine monogame schwule Partnerschaft, sondern ich lebe Sexualität vielfältig bunt, wie der Regenbogen (Emanzipations—Symbol der Homosexuellen— Bewegung) Sicherlich gibt es da auch Bereiche, die mir fremdartig bleiben. Zu jeder sexuellen Präferenz gibt es mittlerweile Clubs und Events.

Schwule und Lesben im Alter.

Wer ist alt? In der Szene ab 40, arbeitsrechtsichtlich/ auf dem Arbeitsmarkt ab 50, weißhaarig ab 60?

Alternativen sind im Gespräch. Der Aufbau eines sozialen Netzes, einer Wahlfamilie scheint mir die Lösung, Einsamkeit vorzubeugen.

Oder ist mir immer noch nicht die richtige Frau begegnet, die mir zu meinem häuslichen Glück verhilft?

Schwule haben eine beste Freundin, schwesterlich.

Bibeltext:

Sie zogen weiter und kamen nach Elim.“...“

Von Elim zogen sie weiter und kamen in die Wüste, die zwischen Elim und dem Berg Sinai liegt.“...“ Da wurde das Volk unzufrieden“...“: Wären wir doch in Ägypten geblieben! Dort gab es genug zu essen, und wir kannten keine Not. Immer hatten wir reichlich Brot und volle Fleischtöpfe.““

4. Station am Altar: gelobtes Land

Bibeltext:

4. Station: Das gelobte Land

Als das Volk Israel in der Wüste Paran lagerte, da machten sich Späher auf und durchstreiften das Land Kanaan. „...“ Als sie alles wichtige gesehen hatten, kehrten sie um. Da berichteten sie „...“ was sie gesehen hatten. Sie sagten: Es ist wirklich ein Land, wo Milch und Honig fließt. Aber die Leute, die dort wohnen, sind stark und ihre Städte sind sehr groß und fest ummauert.“... Da bekamen die Israeliten Angst, dass sie so starke Völker besiegen sollten. „...“ Die „...“ Kundschafter sagten: Nein, wir können es nicht, wir sind viel zu schwach, um gegen die Bewohner zu kämpfen.“...“  Dort sind lauter kräftige, hochgewachsene Menschen. Wir haben auch welche darunter gesehen, die sahen aus wie Riesen. So groß waren sie, dass wir uns wie Heuschrecken vor ihnen vorkamen, und so schauten sie auch auf uns herab.

Kaleb, einer der Kundschafter und Josua wollten das Volk beruhigen. Sie sagten: „Wir wollen trotzdem in das Land einziehen“...“, denn Gott ist mit uns.

Nach Moses Tode führte Josua das Volk Israel über den Jordan in das Land, das Gott ihnen versprochen hatte. Und Gott war mit ihm, wie er mit Mose gewesen war. Alles nahm er im Kampf, bis er nach vielen Jahren das Land ganz erobert hatte. So gab Gott das verheißene Land dem Volk Israel. Und Josua verteilte das Land und gab jedem Stamm sein Teil, wo sie wohnen und was ihnen für immer gehören sollte.

B: Ich setze meinen Fuß aufs Land:

Etwas unsicher vielleicht, damals, als ich für mich akzeptierte: du bist anders, so bist du eben.

Da entdeckte ich: die Landnahme beginnt zuerst in mir, dort beginnt das neue Land

S: Ein Freund hat geschrieben: Ich kenne die Zeit zwischen den Leben, als ich bei meiner Frau und Kindern auszog, die Depressionen, die Suche nach einem neuen Job und einer neuen Wohnung. Jetzt lebe ich mein Leben.

B: Ich setze meinen Fuß aufs Land:

Wie damals, als ich zu meinen Eltern sagte: Ich werde niemals heiraten, zumindest nicht so, wie  ihr euch das vorstellt, bei mir ist das anders. Da begriff ich: Landnahme bedeutet Mut.

Ich setze meinen Fuß aufs Land:

Wenn ich erlebe, dass Freunde da sind, die zu mir stehen. In dieser Begegnung wird etwas von dem guten, verheißenen Land erfahrbar.

S: Der Brief geht weiter: Jetzt lebe ich mein Leben, in einem selbstgewählten und für mich ganz persönlich gewählten gelobten Land.

B: Ich setze meinen Fuß aufs Land:

Ich entdecke, dass auch mein Körper und meine Sexualität ein Geschenk sind und eine befreiende und beglückende Erfahrung.

S: Der Freund überlegt: Ist mein gelobtes Land auch das gelobte Land für die Anderen, die zu meinem Leben gehören? Meine persönlichen Ziele, sind es auch die gleichen Ziele der Anderen?

B: Ich habe entdeckt, dass die Landnahme in meinem Kopf, in meinem Herz anfängt, dass ich beginne das Gute auch anzunehmen, welches das Leben für mich bereithält, dass ich beginne, auch das Gute für mein Leben zu erwarten und dass mein Leben auch Wertschätzung erhält.

S: Mein Freund schreibt: Ich weiß mich von Gott geliebt und angenommen, aber der Weg aus meinem Ägypten ist auch immer in meinen Gedanken und Gefühlen präsent. Der Auszug hat mich viel Kraft gekostet und auch Wunden geschlagen. Die Wunden beginnen langsam zu heilen. Sie sind noch nicht sehr belastbar.

B: Ich setze meinen Fuß aufs Land, immer wieder, wenn wir Gottesdienst feiern, wenn ich begreife und erlebe: Gott lädt mich ein, ich bin willkommen. Niemand kann mich von diesem Fleckchen Land vertreiben. Hier ist Gottes Land für mich! Er deckt mir den Tisch. Er will unter uns erfahrbar sein. In der Gemeinschaft und in der Feier des Gottesdienstes, im gemeinsamen Beten und Singen.

Ich erlebe es als Landnahme, wenn Schwulen- und Lesbengruppen wie z.B. die Lesbisch- schwulen Gottesdienstgemeinschaften und andere sich treffen und zusammenarbeiten und in Kirche und Gesellschaft sichtbar werden.

S: Der Brief von dem Freund macht mir auch dies bewusst, dass die Ankunft im neuen Land und ein Coming out auch ernüchternd und befremdend sein kann.

Bis wir in einem neuen Land richtig zuhause sind, das braucht auch Zeit.  Es ist nicht leicht, in eine neue Identität hineinzuwachsen, besonders wenn mit der Landnahme auch der Abschied von vielen Verwurzelungen in menschlichen Beziehungen und Begegnungen verbunden ist.

B: Ich habe es erlebt, und es passiert immer wieder, dass schlechte Erfahrungen und Gedanken wie die peitschenden Reiter in mir hochkommen und nachpreschen. Es gibt durchaus immer noch die Erfahrung  ausgegrenzt und an den Rand gedrängt zu werden.

Die Landnahme bedeutet nicht das Schlaraffenland, und die Szene ist noch lange kein Paradies. Mit dem Coming Out lösen sich nicht einfach die Probleme.

Aber ich habe entdeckt, dass die Landnahme manchmal damit beginnt, so zu tun, als ob. So zu leben und den Anspruch auf ein beglückendes Leben nicht wegzuwerfen, zu leben im „jetzt schon und dem noch nicht“, so lange, bis das Gute wahr wird. Etwas vorwegzunehmen von der großen Freude in Gottes gerechter Welt, wo alles oben und unten, jedes Rollen- und Geschlechterklischee ausgeräumt ist und jede Minoritätserfahrung  sich umschlägt in die Freude der freien der Kinder Gottes.

Landnahme ist auch ein Leben im Dennoch und im Trotzdem.

Amen