Predigt August 2006 (CSD-Gottesdienst)

CSD-Gottesdienst am Sonntag, den 6. August 2006
 

Lesung 1. Kor 6 (nach der Einheitsübersetzung)

Wisst ihr denn nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder, noch Diebe, noch Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer, keine Räuber werden das Reich Gottes erben. Und solche gab es unter euch. Aber ihr seid reingewaschen, seid geheiligt, seid gerecht geworden im Namen Jesu Christi, des Herrn, und im Geist unseres Gottes. Alles ist mir erlaubt – aber nicht alles nützt mir. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. Der Leib ist nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn, und der Herr für den Leib. Gott hat den Herrn auferweckt; er wird durch seine Macht auch uns auferwecken. Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst; Denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Verherrlicht also Gott in eurem Leib!

Ansprache

Liebe Gemeinde,

ich gebe es gerne zu:
wir als Vorbereitungsgruppe hätten es uns heute leichter machen können, am CSD.

Wir hätten uns ein Thema suchen können, das grade so irgendwie in der Luft liegt, einen Bibeltext dazu suchen können.

Und fertig wäre der runde, glatte CSD-Gottesdienst gewesen.

Aber da ist er nun mal, dieser „text of terror“, dieser Diskriminierungstext der christlichen Tradition, gerade heute, als wollte uns jemand mit Absicht einen Wermutstropfen in den süßen Freuedenwein hineingießen.

Und auch wenn wir die Gefahr gesehen haben, dass die eine oder der andere von euch mit dem Kopf schütteln und denken:

Kommen wir denn niemals davon los und immer und immer wieder gegenüber diesen Bibelstellen rechtfertigen zu müssen.

Müssen wir denn immer und immer wieder durch dieses Nadelöhr hindurch, bis wir uns frei und unverkrampft den wichtigen Botschaften der Bibel zuwenden können, die uns wirklich in unserem heutigen Leben treffen und helfen?

Wir haben ihn trotzdem genommen.

Ihn nicht zu nehmen, hätte bedeutet: ihnen doch wieder Macht über uns zu geben.

Denn wir hoffen: wir sind diesen Paulustexten gegenüber vielleicht schon so gelassen, dass wir es wagen können, sie ohne Selbstrechtfertigungszwang noch mal anschauen zu können. Und dann vielleicht doch noch was Interessantes dran zu entdecken – jenseits allen Schön- und Zurecht-redens, was denn nun gemeint sein könnte mit Weichlinge und Knabenschändern und Unzüchtigen.

Deshalb möchte ich auch mit einem Begriff und Bild vom Ende des Textes her beginnen:

Denn da heißt es

„Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt?“

Ein Tempel sollen wir sein, ein heiliges Gebäude, ein Wohnort für den Heiligen Geist Gottes – so sagt es Paulus zu uns Christinnen und Christen.

Und er sagt: wir sind es schon. Es ist keine Forderung.

Es ist eine Zustandsbeschreibung.

Wir, die Christ/innen sind als Getaufte: Heilige.

Das klingt ja erst einmal so, als hätte Paulus einen etwas verklärten Blick auf die Menschen:

Nein – Heilige – da gibt es doch nur sehr, sehr wenige von...

Solche Menschen, die immer mit blassen Gesicht lammfromm nach oben schauen und die Hände gefaltet haben und nicht die geringste leidenschaftliche Regung in sich spüren und immer sooo lieb und nett zu allen sind und nie etwas für sich wollen...

Nein – solche Heilige sind wir – vermute ich mal – mit Sicherheit nicht. Solche Klischees von Heiligen, wie sie als Ikonen der Unschuld aus den Kitschbildern von Pierre et Gilles entsprungen sein könnten.

Wir sind voller Ecken und Kanten und Fehlern und Leidenschaften und kleinen Ausrastern hin und wieder und – nicht zu vergessen - mit einer deutlich ausgeprägten Sexualität...

Und doch (wenn wir Paulus ernst nehmen wollen): wir sind bei alledem - heilig.

Paulus kann das so sagen, weil er beim Wort „heilig“ nicht unbedingt zuerst an Reinheit und Vollkommenheit in Leben und Glauben denkt. Er tut das sicher auch.

Aber heilig sein heißt für ihn zuallererst:

Zu Gott zu gehören. Zu dem Gott, der allein heilig ist. Von ihm ausgesucht worden zu sein, abgesondert und in gewisser Weise herausgeholt aus den Verstrickungen in Sünde und Schuld, wie wir sie in der Welt erleben.

Und dieses „zu Gott und seiner Aura des Heiligen zu gehören“ ist eben nichts, was wir uns durch einen heiligenmäßigen Lebenswandel erarbeiten und verdienen dürfen.

Nein: die Verbindung zu Gott und seinem heiligen Geist, die haben wir schon immer, als getaufte Christinnen und Christen.

Von Anfang an.

Wir sind – in diesem Sinne – von Gott ausgesonderte Heilige.

Ein anderes Bild macht dieses „heilig sein durch Verbundenheit mit Gott“ noch deutlicher: das Bild vom Leib Christi, an dem wir alle Glieder sind.

Die bildliche Vorstellung dabei ist:

Durch die Taufe werden wir quasi zu Körperteilen, zu Gliedern am Leib Christi (wobei sich jeder gerne selber mal überlegen kann, welcher Körperteil er oder sie wohl wären...).

Und durch diese körperliche Verbindung, diese Art „Blutsgeschwisterschaft“ schwappt die Heiligkeit Jesu quasi ganz von selber auf uns über.

Für Paulus war dieses Bild vom kollektiven Leib der Christusgemeinde ganz, ganz wichtig.

Denn nur in diesem Bild konnte deutlich werden, wie wir alle an der Auferstehung des Leibes, die in Christus ja schon geschehen war, als einzelne teilhaben können.

Auch da zieht Christus uns als seine Glieder quasi mit in die Wirklichkeit des neuen Lebens.

Und das gute neue Leben im Reich Gottes, es bedeutete, Christus möglichst immer ähnlicher zu werden, seine Art zu Leben und zu Lieben auszudehnen aus die ganze Welt, bis sie ganz und gar hineingenommen ist in das Leben und den Leib Christi.

Fremde Gedanken. Ich weiß.

Aber nur so, wenn wir diesen Gedanken einmal nachgehen, können wir auch verstehen, welche panische Angst Paulus davor hatte, durch Verfehlungen - und insbesondere sexuelle Verfehlungen – nicht nur den eigenen Leib zu beschmutzen, sondern immer zugleich auch den Leib des Herrn mit. Schließlich war man ja ein Teil von ihm.

Und so wandert dann das „brave und gute Verhalten“ nach einem Umweg durch die Hintertür doch wieder ein in die Vorstellung von „Heiligkeit“.

Aber es ist doch eine andere Logik:

Nicht, wenn wir uns tadellos verhalten, sind wir heilig, werden wir ausgesucht;

Nein: weil wir heilig, ausgesucht sind, bekommen wir die Verantwortung und auch die Kraft, dementsprechend zu leben.

Und so wird vielleicht auch verständlicher, dass Paulus so erstaunlich liberal über Freiheit reden kann:

„Alles ist mir erlaubt – aber nicht alles nützt mir.

Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.“

Denn das einzige Verhalten, dass mich wieder „unheilig“ werden lassen könnte, wäre:

Wenn ich mein Vertrauen und meinen Glauben an Gott aufgeben würde, mich aus der Gemeinschaft mit ihm verabschieden würde.

Das wäre der Sündenfall, wenn ich seiner Liebeserklärung an mich nicht mehr trauen würde.

Wenn ich mich dagegen sperren wollte, Wohnung des Heiligen Geistes zu sein und Teil der Gemeinde Jesu Christi.

Bleibe ich in dieser Verbindung, dann bin ich auch frei, zu tun uns zu lassen, was ich nach meinem Gefühl und Gewissen mit meinem Christsein vereinbaren kann.

Und da gibt es dann sicher auch benennbare Dinge, die nicht so besonders „heiligenmäßig“ sind.

Paulus hat versucht das in dem Katalog an „Lastern“ – wie die Bibelwissenschaftler das nennen – zu beschreiben.

Götzendienst an oberster Stelle, als Grundsünde des Abfalls von Gott.

Aber eben auch Habgier, Diebstahl, Raub, Lästerei, Ehebruch.

Alles Dinge, die die gute und gerechte Gemeinschaft der Christ/innen untereinander zu zerstören drohen.

Aber auch vor allen Formen der Sucht warnt er, dem zügellosen Trinken und der verantwortungslosen Sexualität, weil sie meine Freiheit gefährden, die ich doch von Gott gerade als Geschenk bekommen habe.

Ob Paulus, wenn er heute wieder so einen Lasterkatalog erstellen würde, die Weichlinge und mannmännlichen Beischläfer noch mit hinein nehmen würde?

Das ist sicherlich nur Spekulation:

Aber ich denke, es wäre nicht mehr zwingend dabei.

Unsere Vorstellungen von Geschlechterrollen und von menschengemäßer Sexualität haben sich – Gott sei Dank - in den letzten 2000 Jahren gewandelt.

Wir vertragen eine viel größere Bandbreite an Vielfalt als die Menschen der Antike.

Und wir feiern sie an diesem Wochenende zurecht als eine Bereicherung der Gesellschaft, und müssen sie nicht als Gefährdung des Zusammenhalts fürchten.

Diese Lasterkataloge: sie sind Versuche ihrer Zeit, zu beschreiben, was Freiheit und Gemeinschaft in Gerechtigkeit bedroht.

Und heute sind wir selber dazu aufgefordert, uns selbstverantwortlich zu überlegen, wo für uns die Grenzen der Freiheit sind – zu unserem eigenen Schutz - und was die Rücksichtnahmen sind, die die Gemeinschaft von uns erwarten kann – aus Nächstenliebe, nicht aus Zwang und Befehl.

Und da kann es vielleicht viel eher die Warnung sein, aus unserem „Tempel des Heiligen Geistes“ keinen reinen Konsum-Tempel oder Vergnügungs-Tempel zu machen, der völlig abgeschlossen ist gegenüber den Nöten und Bedürfnisse derer, mit denen wir zusammenleben. Da wäre die Gefahr der Selbstvergötzung gleich ums Eck und die wieder gefährlich nahe bei dem, was wirklich als Götzendienst zu bezeichnen wäre.

Friede und Gerechtigkeit, diese obersten Maximen des Reiches Gottes, um die geht es, um die gilt es sich Gedanken zu machen.

Für Heteros wie Homos, für Singles wie Paare, für Bio-Männer und Bio-Frauen wie für Transmänner und Transfrauen.

Denn wir alle sind Heilige. Berufen, auserwählt, geliebt.

Wir haben alle, jeder und jede von uns schon unsere Würde und Schönheit bei Gott.

Jetzt geht es darum, in aller Freiheit unser Miteinander so zu gestalten, dass das Reich Gottes wachsen kann, damit Frieden und Gerechtigkeit im Miteinander vorankommen, dass sich der Christusleib ausdehnen kann in dieser Welt.

Dass dieser Leib inzwischen etwas bunter und queerer ist, als Paulus sich das noch vorstellen konnte – das soll uns bei unseren Bemühungen nicht weiter stören.

Und vielleicht tröstet es Paulus ein wenig, dass wir ihn im Grunde ja doch ziemlich ernst nehmen und auf ihn gerne hören, wenn er sagt:

„Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind?

Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt?

Ihr gehört nicht euch selbst;

Denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden.

Verherrlicht also Gott in eurem Leib!“

Amen