Predigt März 2017

Queergottesdienst am 19. März 2017 in St. Johannis

 

Predigt zu Lukas 22,39-46 (Jesus in Gethsemane)

 

Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Queergemeinde,

 

der Evangelist Lukas berichtet nach seiner schriftstellerischen Eigenart den Gebetskampf Jesu im Garten Gethsemane nicht so ausführlich und vollständig wie Matthäus und Markus. Er erwähnt nicht einmal den Ort des Geschehens, er setzt ihn als bekannt voraus. Die Auswahl, die Jesus unter den Jüngern vornahm, die dreifache Wiederholung des Gebetes und die Warnrufe an Petrus werden übergangen. Aber durch diese komprimierte Darstellung der Ereignisse in Gethsemane ermöglicht der Evangelist uns die Fokussierung auf die Kernthemen in dieser Überlieferung: Die Todesangst Jesu, der Kampf gegen die Versuchung und das unablässige Beten zu Gott. Alle drei Themen sind in dieser Geschichte mit einander verwoben.

 

Jesus fordert seine Jünger auf zu beten, um nicht in Versuchung zu kommen. Welche Art von Versuchung er meint, nennt er zwar nicht, aber es lässt sich erschließen, dass er nur eine im Sinn hat: Die Abkehr von ihm, um die eigene Haut zu retten, womöglich ein Verrat wie der von Judas und damit ein Abwenden von Gott. Jesus will nicht, dass sie vom Glauben abfallen, denn mit seinem nahenden Tod droht ihr Glaube Schiffbruch zu erleiden. Und nach Jesu Tod wird es schließlich auch nicht einfacher für seine Anhänger, die sich später Christen nennen. Ich erkenne daraus auch die Botschaft: Betet zu Gott in guten und in schlechten Zeiten. Die Versuchung für uns und im Jetzt besteht doch darin, nur in schlechten Zeiten Gott anzuflehen oder depressiv zu werden und Gott in guten Zeiten zu vergessen oder größenwahnsinnig werden. Bezogen auf die weltpolitische Bühne sage ich zu Größenwahn nur Erdogan und Trump. Jesus sagt zu uns: Betet! Seid beharrlich im Gebet, betet unablässig! Kontaktet euch mit Gott, macht es euch zur Gewohnheit! Macht es euch zur Gewohnheit sich an Gott zu wenden in Zeiten der Getriebenheit und des Stresses, der Bedrücktheit und Bedrängung. Dankt Gott, wenn es euch gut geht, eben weil es euch durch ihn gut geht, wenn ihr Erfolge, tolle Erlebnisse, schöne Begegnungen mit anderen Menschen habt. Betet in Zeiten der Freunde, weil ihr wisst, dass auch Zeiten der Trauer anbrechen können, in denen ihr die Hilfe Gottes braucht.

 

Die Todesangst Jesu. Eindrucksvoll in Szene gesetzt in den Film „Die Passion Christi“. Bei Matthäus heißt es: „Tiefe Mutlosigkeit und Angst überfielen Jesus.“ (Mt 26,37b) Markus schreibt: „Grauen und Angst überfielen Jesus.“ (Mk 14,33b) Beide Evangelisten berichten, dass er zu den Jüngern sagt: „Ich zerbreche beinahe unter der Last, die ich zu tragen habe. Bleibt bei mir und lasst mich nicht allein.“ (Mt 26,38 und Mk 14,34) Dann ließ er seinen Körper mit den Knien zuerst auf den Boden fallen, die Hände gefaltet, zum Gebet bereit. Ist es nach diesen Eindrücken nicht allzu verständlich, dass Jesus zu seinem Vater betet, ja, ihn regelrecht anfleht mit den Worten: „Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir (…)“ Sein menschlicher Teil hat große Furcht vor den kommenden Ereignissen und möchte diesen Kelch am liebsten weiterreichen. – Völlig nachvollziehbar. Aber er spricht weiter: „doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ Jesus weiß, dass er eine Mission zu erfüllen hat. Deswegen ordnet er seine Gefühle und seine Wünsche dem Willen seines Vaters und unseres Gottes unter. Nicht leicht und völlig selbstverständlich. Er dient einem höheren Ziel: Sein Wirken auf Erden und sein Tod am Kreuz sollen die Menschheit mit Gott versöhnen. Daran werden wir in der Passions- und Osterzeit erinnert.

 

Dieser Vers ist natürlich auch ein direkter Querverweis auf das Vater unser: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“ (Mt 6,10) Dieser Vers aus dem Vater unser, dem Gebet unseres Herrn Jesu Christi, das er uns geschenkt hat, soll uns daran erinnern, dass nicht unser Wille zuerst kommt, über allem steht oder immer berechtigt ist. Er soll uns daran erinnern, dass Gott die Dinge so lenkt, wie es am Ende für uns gut ist. Es gibt den Spruch „Hüte dich vor deinen Wünschen, denn sie könnten in Erfüllung gehen.“ Haben wir das nicht schon alle erlebt? Es gibt eine Situation oder ein Problem, auf das wir eine schnelle und naheliegende Antwort hatten oder ein Wunsch, der unbedingt erfüllt werden musste. Und dann haben wir uns geärgert, weil es nicht so gekommen ist, wie erwartet. Hindernisse wurden uns in den Weg geworfen, wir mussten unseren Lösungsweg anpassen, unser Wunsch musste verschoben oder aufgegeben werden. – Aber am Ende sagen wir manchmal, es ist gut, dass es so gekommen ist und nicht anders. Daraus habe ich etwas gelernt. Es kam alles recht zu seiner Zeit. Gottes Fügung sei Dank.

 

Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“ Dieser Vers, wohl gemerkt eine Gebetsanrufung von uns an unseren Schöpfer und kein Gebot von Gott an die Menschen, soll uns auch vor Hochmut und Anmaßung bewahren. Mein Wille muss schließlich nicht auch gut sein für meine Mitmenschen oder für die Gemeinschaft, in der ich lebe. Er soll vor Gewaltherrschaft und Tyrannei bewahren. – Spätestens hier merken wir, dass wir dieses Gebot allzu oft nicht befolgen!

 

Wir verdanken dem Evangelisten Lukas die Überlieferung folgender zwei Verse: „Da erschien ein Engel vom Himmel und gab ihm neue Kraft. Jesus litt Todesängste und betete so eindringlich, dass sein Schweiß wie Blut auf die Erde tropfte.“ Jesu erhält Zuspruch, vielleicht auch Kraft vom erscheinenden Engel, dieser löst die Angst in Jesu aber nicht auf. An eine Stärkung zum Gebet ist zu denken. Es dürfte sich wohl, wie einst bei Elia (1 Kön 19,7), um eine leibliche Stärkung durch den Engel handeln. Jesus betet im Kampf mit Sünde, Tod und Teufel noch heftiger. Im eigentlichen Todeskampf strengt der Herr alle seine Kräfte zu einem unablässigen Gebetskampf an. Die beste Erklärung zu dieser Stelle geben die Worte des Hebräerbriefes, wo von den starken Geschrei und den Tränen die Rede ist, womit Jesus sein Gebet und Flehen dem opferte, der ihm vom Tode aushelfen konnte (Hebr 5,7-9). Lukas berichtet, erkennbar als Arzt, dass bei Jesus der Schweiß wie dicke Blutstropfen auf die Erde fiel. An eine poetische Ausschmückung oder eine mythische Dichtung ist hier nicht zu denken. Nach medizinischen Gutachten kann ein bis auf den Tod Geängstigter einen Schweiß wie Blutstrophen ausschwitzen. Der Zustand des leidenden Jesus wird durch diesen Zug in seiner ganzen Tragschwere geschildert.

 

Bemerkenswert in dieser Geschichte ist, wie empört Jesus reagiert als er nach dem flehentlichen Gebet an seinen Vater seine Jünger schlafend vorfindet. Er macht es nicht, weil er ihnen den Schlaf nicht gönnt, sondern weil er ernsthaft Sorgen hat, sie könnten nach der harten Probe, die ihnen bevorsteht, vom Glauben abfallen. Ich habe mich zunächst gefragt, wie kann man in einer Situation wie dieser – voller Angst, Ratlosigkeit und Sorgen – überhaupt schlafen. Wird man von diesem negativen Gedankenkarussell nicht eigentlich vom Schlaf abgebracht? Die Bibelübersetzung „Hoffnung für alle“, die Tim vorgelesen hat, macht es deutlicher als die anderen Übersetzungen, wenn sie schreibt: „Als er dann zu seinen Jüngern zurückkehrte, schliefen sie, erschöpft von ihren Sorgen und ihrer Trauer.“ Es gibt neben der Schlaflosigkeit also auch einen Zustand, in den man so viel Sorgen und Kummer in sich trägt, die an einen zehren, dass man vor lauter Erschöpfung einschläft. Lukas wusste als Arzt, dass einer vor Trauer einschlafen kann. Wenn die Traurigkeit so groß ist, kann der ganze äußere und innere Mensch derart ermatten, dass er in einem Zustand der Betäubung versinkt. Die übrigen Evangelisten sagen auch nichts davon, dass es ein gewöhnlicher, gesunder Schlaf war, der die Jünger übermannte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch die Macht der Finsternis in diesen schweren Augenblicken auf sie einwirkte. Jesus wandte sich mit einem Mahnruf an die Schlafenden. Hier tritt ein weiterer Aspekt zutage: Jesus sehnt sich nach Gemeinschaft, er will seine Anhänger in der Nähe haben. Seine Sorge gilt den Menschen, die ihn nahe stehen, er denkt in Beziehungen und nicht über die Gründung einer Weltreligion.

 

Mögen auch wir uns um unsere Mitmenschen sorgen – Familie, Freunde, Bekannte und Kollegen –, das Gemeinwohl nicht aus den Augen verlieren und uns regelmäßig daran erinnern, dass nicht unser Wille die letzte Instanz ist.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.