Predigt Dezember 2011

Gottesdienst am 18.12.2011

PREDIGT zu Jes 63, 15 – 19

Liebe QueerGemeinde, liebe Gäste,

Hier wird Gott als Vater angesprochen und wir tun das auch: Vater unser. Das soll – so sagen es Jesus und Paulus – das tiefste Vertrauen ausdrücken. Aha. Da lohnt es sich, mal nachzusinnen. Ist das, war das so in unserer Kindheit ? Ich lade Euch ein, mit zu meditieren, wenn ich jetzt „ich“ sage, dann soll jede und jeder mit seinem eigenen ich gegenwärtig sein.

Wie habe ich meinen Vater, meine Mutter erlebt ? Zärtlich und wohlwollend, fördernd und fordernd ? Hatte ich es gern, wenn ich wußte, es schaut, es achtet jemand auf mich ? Oder fühlte ich mich schon bald beobachtet und kontrolliert ? Wem habe ich mich anvertraut ? Vater oder Mutter ? Oder beiden ? Oder keinem ? Wer war für mich da, wenn ich Kummer hatte ?Was für ein Wort war Vater oder Mutter für mich ? Welchen Klang hatte es ? Hoffentlich einen guten, wohltuenden. Denn das ist wichtig, entscheidend für unser Gottesbild, wenn wir Gott Vater nennen. Manche Christen tun sich schwer damit.

Unser Verfasser zweifelt zunächst an der Wirkmacht Gottes, vermisst Eigenschaften, die er ihm bislang zugeschrieben hatte : „Wo ist nun dein Eifer und deine Macht ? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.“(V.15)Da schwingt auch ein Vorwurf mit.

Liebe Gemeinde, gehen wir es doch mal durch : Eifer, Macht, Barmherzigkeit. Das sind sehr unterschiedliche Begriffe.

Eifer – so richtig mit Begeisterung bei der Sache sein. Ihr meditiert wieder mit, Augen zu, dann kommen schon die richtigen persönlichen Beispiele in die Gegenwart. Wo ist dein Eifer, Gott ? Wo ist mein Eifer, Martin ? Wo bin ich ganz bei der Sache ? Wo setze ich mich mit Eifer und Begeisterung ein für Gott, für meine Mitmenschen, auch für die queere Familie, für mich ? Eifer ist nicht so ganz leicht für eine doppelte Minderheit : Wir sind die homosexuelle Minderheit gegenüber der Mehrheitsnorm der Heteros. Wir sind Ketzer innerhalb der Christen, aber Fromme, Betschwestern in der queeren Familie. Da ist eher Zurückhaltung angesagt, kein Eifer.

Macht kommt von machen, etwas tun und erreichen können, etwas bewegen können. Hat die queere Bewegung in Deutschland etwas bewegen können ? Immerhin, der §175 StGB ist gestrichen worden, wir haben die eingetragene Lebenspartnerschaft. Gott sei Dank.

Wie ist mein Verhältnis zu Macht? Ich habe nicht viel von ihr und ärgere mich, wenn andere Macht über mich haben. - Wenn ich welche hätte : Wäre ich bereit, sie auch verantwortlich auszuüben, für Entscheidungen einzustehen ? Wäre ich bereit, andere an meiner Macht zu beteiligen ?

Barmherzigkeit – das wünscht sich jeder von uns. Habe ich – z.B. bei meinem Outing – Barmherzigkeit meiner Mitmenschen erfahren ? Und ich frage auch umgekehrt : Bin ich auch bereit, selbst barmherzig zu sein ? Unbarmherzig läßt es sich schlecht leben.

Eifer – Macht – Barmherzigkeit – darf ich diese Eigenschaften auf Gott übertragen ? Genau das tut unser Verfasser. Es ist denke ich klar, dass solche Vergleiche immer hinken, aber es bleibt uns als Menschen nichts anderes übrig, als menschlich von Gott zu reden. Sonst müßten wir von ihm schweigen. Die unvermeidbare Gefahr ist nun jedoch, dass bei all diesen Eigenschaften unsere Erfahrungen mitschwingen. Wenn wir sagen : Gott ist Vater steht sofort unser, mein und dein Vater vor Augen.

Kann Gott für mich ein guter Vater sein ?

Dann fragt unser Verfasser :

  1. „Wo ist dein Eifer, Gott ?“ Nicht da, aber normalerweise ist Gott eifrig. Damit ist gemeint : Eifrig in seiner Liebe zu Israel, eifrig, seinem halsstarrigen Volk immer wieder zu vergeben, immer wieder Propheten zu schicken und schließlich Jesus, seinen Sohn. Aber brennt Gott auch für unsere queere Sache, kann er brennen vor Eifer ?
     
  2. Hat Gott Macht oder Ohnmacht, wenn ich mich für einen anderen Weg entscheide, als er für mich vorsieht ? - „Mir ist gegeben alle Gewalt, alle Macht im Himmel und auf Erden“, sagt der auferstandene Herr. Gott sei Dank! Ich stehe unter einem Herrn, der sich für mich hat kreuzigen lassen, da ist einer auferstanden, der sich queer-gestellt hat und dafür am Querbalken hing.

Doch nun stehen wir im Kirchenjahr nicht kurz vor Karfreitag und Ostern, wir sind weiter, heute am Abend des 4. Advents. Auch unser Text geht weiter, beendet das Fragen und Anklagen, wendet den Blick auf Gott Vater:

[lies V. 16]

Gott gibt seinen Namen preis : Vater und Erlöser. So heißt er, so will er angesprochen werden.  Übrigens unser Coming out heißt ja nichts anderes als Herauskommen, und dazu muß ich etwas preisgeben von mir. Ich muß sagen, wer und wie ich wirklich bin. Das steht dann schutzlos im Raum. Genau das macht Gott. Er kommt heraus aus seiner göttlichen Anonymität.

Und jetzt nochmals die Fragen zum Mitmeditieren, wer will, schließt die Augen. Wie war dein Coming out ?Wie stand dein Vater dazu ? Kannte er dich noch mit Namen wie von alters her ? Oder hattest du keinen Namen, kein Ansehen mehr? Welche Namen bekamst du z. B. von Klassenkameraden ? Vater und Erlöser , Mutter und Heilige oder doch eher Schwuchtel und Kampflesbe, Sünderin und Sünder allzumal !!!

Nach dem Outing Gottes kommt leider etwas anderes als Harmonie und ewige Glückseligkeit. Gott geht es wohl wie uns, ein Outing eröffnet neue Fragen :

[lies VV. 17 - 19]

Gott wird weiter gelästert, Menschen irren umher, leben an Gott vorbei und an dem wahren Menschen Jesus vorbei, obwohl sie Menschen sind.

Nach diesem Abschnitt hören wir den Nachnachfolger des Jesaja sehnsüchtig rufen : „Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab !“, das ist die Hoffnung. Und  - so wissen wir heute – das tat Gott und das wird er wieder tun. Deshalb feiern wir Weihnachten. Gott tritt aus sich heraus, coming out of heaven, der Himmelsthron wird verlassen, er wird Mensch, ein Kind wie wir eines waren – was für eine queere Idee ! Seine queere Idee, denn er muß es nicht tun, Menschwerdung ist nicht alternativlos, das muß Liebe sein. Weil es so ist, das Gott barmherziger Vater und liebende Mutter , unser Erlöser ist, dürfen wir seine Kinder sein.

[lies 1 Joh 3, 1+2]

Sehen, wie er ist : Vater, Sohn und Heiliger Geist. Zu diesem Gott haben wir uns bekannt.

Sehen, wie er ist. Deshalb sehen wir auf unsere Nächsten in Not in der Fürbitte.

Sehen, wie er ist. Deshalb feiern wir Christus verbindlich anwesend in Brot und Wein, wenn wir nachher Abendmahl feiern.

Liebe Queergemeinde, zum letzten Mal in diesem Jahr sind wir heute zusammen. Deshalb wünsche ich uns allen : Geh mutig und voller Gottvertauen deinen Weg als Kind Gottes, genieße die Gnadenzeit, die beginnt und uns über das neue Jahr hindurch und hinaus führt. Schau auf das Wesentliche, auf unsern Erlöser, dann überwindest du die größte Not, auch die Angst vor Euro und Schulden, du fühlst dich bei Gott geborgen. (Das ist wohl mit Vaterland gemeint, wie es unser Lied O Heiland reiß die Himmel auf ausdrückt) Geborgen, egal, wie dein Coming out war, Gott kommt zu dir heraus. Sei geborgen, egal, was auf den Geldscheinen steht, ohn´deinen Schein in Finsternis wir alle sein. Auf Jesus, die klare Sonn, auf diesen hellen Stern kannst du wetten, mit bester Bewertung von Gott garantiert

Amen.