Predigt Dezember 2013

Queergottesdienst am 15.12.2013, St. Johanniskirche Nürnberg

Vierter Advent – Thema: Die nahende Freude
Predigt zu Lukas 1,26-33: Die Ankündigung der Geburt Jesu

[Gnade sei mit uns und Friede: von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!]

Ein Teil unseres heutigen Predigttextes findet sich in verschiedenen Bildern ausgedrückt. Berühmt sind die Bilder dazu im Unterlinden-Museum in Colmar – wie auch Bilder in der St. Lorenzkirche in Nürnberg.

Um 1455 malte der niederländische Maler Roger van der Weyden ein Bild von Marias Verkündigung: Maria, dargestellt im langen, dunkelblauen Kleid / sie kniet nieder, die aufgeschlagene Bibel in der Hand – hinter ihr, gerade in den Raum eingetreten, der Engel Gabriel in strahlend-weißem Gewand, mit Flügeln und mit gebeugten Knien, den goldenen Stab in der Hand … - war es so (??), damals, vor eben über 2000 Jahren, als der Bote Gottes Maria in Nazareth aufsuchte?

Unsere Erzählung im 1. Kapitel des Lukas-Evangeliums, kurz vor der Weihnachtsgeschichte, beginnt mit einem Gruß – und Maria erschrickt (!): „Welch ein Gruß ist das?“, bringt sie voller Erstaunen über die Lippen. War es damals schon nicht üblich, dass Frauen überhaupt gegrüßt wurden – so fallen die Worte des Engels noch viel deutlicher auf: „Gegrüßet seist du, Hochbegnadete! Der HERR ist mir dir! Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden!“

Mit diesen Worten leitet der Evangelist Lukas die Geschichte Jesu von Nazareth ein. Damit beginnt das, was man später Evangelium nennen wird. Eine Tür geht auf, es tritt jemand herein mit einem Gruß, dann geht er wieder – das ist alles. Wie ein Besuchender kommt Gott und tritt aus seiner Göttlichkeit heraus mitten hinein in unsere Menschlichkeit! Wie ein Mensch zu einem Menschen kommt, so kommt Gott daher!

Wie anders dagegen fallen die Gemälde zu dieser Szene aus. Da erscheinen Maria und der Engel als verklärte Wesen einer anderen Welt, aber nicht als Menschen. Was Lukas erzählt, kommt ohne Goldkranz und ohne Heiligenschein aus, ohne Engelsflügel und ohne jedes überirdische Beiwerk. Maria ist zwar über das Kommen des Engels verwundert, insbesondere über diesen merkwürdigen Gruß / aber: Maria fällt vor dem Engel nicht auf die Knie / nein, sie redet mit ihm wie von Mensch zu Mensch, so, wie sie denkt und sie empfindet. Und so reagiert sie auch verschrocken und verwirrt, als der Engel sie begrüßt: „Du Holdselige! Du hast Gnade vor Gott gefunden!“

Gottes Botschaft wird durch einen Gruß eingeleitet – so erfährt es Maria – uns so geschieht es in jedem einzelnen Gottesdienst hier in unserer Kirche, wenn es z. B. heißt: „Gnade sei mit euch und Friede: von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“

Hören wir diese Worte eigentlich noch richtig? Nehmen wir sie wahr? Oder denken wir uns: „Solche Worte gehören einfach als frommes Beiwerk dazu, man könnte es auch weglassen und es würde nichts fehlen.“ – Schön wäre es, wenn manch einer von uns über den Gruß im Gottesdienst neu nachdenkt. Denn schon in diesen wenigen Großworten zu Beginn kommt so unaussprechlich viel zum Ausdruck: Da begrüßt uns Gott (!) – da neigt sich Gott zu mir herab (!) – da nimmt Gott (!) mich ernst und wichtig! / Da bin ich nicht irgendeine Nummer, nicht irgendein „Rädchen im Getriebe“ – nein, da bin ich Gott so wichtig, dass ER mich persönlich begrüßt! – Und wenn es so sein sollte, dass jemand enttäuscht aus dem Gottesdienst herausgeht: Das eine sollte sie oder er aber unbedingt wissen: Der Gottesgruß zum Anfang gilt ihr beziehungsweise ihm genauso wie die Segensbitte am Schluss! Der Schlusssegen ist so etwas wie ein Abschiedsgruß: Mit der Bitte um Gottes Segen wird jeder in Frieden entlassen! „Zieht im Frieden eure Pfade!“ (EG 258). – Das möchte uns allen bewusst sein: Gott begrüßt und verabschiedet uns in jedem einzelnen Gottesdienst, ER heißt uns willkommen hier in Seinem Haus – „so freundlich und nah“ beugt sich der Höchste herab! (EG 41,1.3).

Vielleicht bedenken wir von hier aus einmal, was für Grüße wir zu Weihnachten untereinander austauschen (auch Geschenke sind Grüße). In einer Zeit, wo viele Menschen aneinander vorbeilaufen / wo Kinder und Erwachsene immer seltener grüßen und einen Gruß erwidern: Vielleicht bedenken wir einmal, was fehlt, wenn der Gruß ausbleibt oder nur flüchtig ausfällt. Hasten wir nur noch am anderen vorbei, ohne ihn zu beachten, ohne ihn auch nur im Geringsten wertzuschätzen? – Wie viel kann einem anderen Menschen im Gruß versagt und vorenthalten werden – aber, andersherum, auch zugesprochen werden: wie viel an Menschenfreundlichkeit und an Liebe, wie viel an Herzlichkeit gar kann im Gruß ausgedrückt sein! Und: Brauchen wir das denn nicht alle, ein jeder von uns: ein gerüttelt Maß an Aufmerksamkeit und Zuwendung und Wertschätzung durch unsere Mitmenschen? Wenn das aber ausbleibt, wen überrascht es dann noch, wenn es in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen und in unserer Gesellschaft kälter und kälter wird? Wenn Menschen vereinsamen, verbittern und verzagen?

Zurück zu Maria. Mit dem Gruß des Engels erfährt sie merkwürdig Neues, was sie zunächst nicht versteht und was wohl auch wir nicht verstehen:

Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären,

des‘ Namen sollst du Jesus heißen.

Der wird groß sein und ein Sohn des Höchsten

genannt werden, und Gott, der HERR, wird Ihm

den Thron des Vaters David geben.

Und Er wird ein König sein über das Haus Jakob ewiglich,

und Seines Reiches wird kein Ende sein!

„Wie soll das zugehen?“, fragte Maria – und wir Menschen heute mögen fragen: „Wie ist das damals wohl zugegangen / wie soll man sich das nur vorstellen / stimmt den das mit der sogenannten Jungfrauengeburt überhaupt? War Maria wirklich eine reine Jungfrau? Mehr noch: Muss man an das glauben?“ – Ich sage weiter, was ich mir habe sagen lassen, von Menschen, die sowohl fromm als auch auf dem neusten Stand der Bibelauslegung sind: Niemand muss an die Jungfrauengeburt glauben – aber: Jedem von uns möchte aufgehen, was mit der Überzeugung von der sogenannten Jungfrauengeburt im Grunde ausgedrückt werden sein will: die Einmaligkeit, die Einzigartigkeit von Maria soll damit wohl hervorgehoben werden. Doch – abgesehen von Maria: Jedem von uns möchte aufgehen / im Glauben aufgehen, was dies heißt: „Gott wird Mensch / dir, Mensch, zugute!“

Der Evangelist Lukas behauptet nicht, Joseph sei nicht der leibliche Vater Jesu. Nirgends in den Evangelien wird bestritten, dass Joseph der Vater Jesu ist / stets wird dies vorausgesetzt. Dies aber will betont sein: Gott wird Mensch – auf geheimnisvolle, auf wunderbare Weise. / Gott wird Mensch durch eine Frau namens Maria hindurch. / Gott sich uns Menschen zu: aus lauter, wohl unbegreiflicher Liebe und Fürsorge heraus. / Gott greift ein und handelt, weil ER die Welt nicht sich selbst überlassen will! „Gott lässt uns nicht in den Finsternissen steh’n / Gott gibt die Welt nicht verloren!“ (EG 182,7). Gott kommt auch heute noch!

Gott greift jedoch nicht ein mit den üblichen Mitteln dieser Welt – und auch nicht so, dass sich es der Mensch genau vorstellen kann. Gottes Menschwerdung bleibt Geheimnis. Die Geschichte von der Ankündigung der Geburt Jesu kann uns aber helfen, die Welt und uns selbst in anderer Sicht zu sehen als in der, die wir gemeinhin ‚Wirklichkeit‘ nennen. Diese Geschichte kann uns helfen, „dass wir in neue Räume treten“ (H.J. Iwand). Dadurch nun muss sich die Welt noch nicht verändern, aber: dadurch verwandelt sich meine Sicht der Welt. Da fange ich vielleicht an, die Welt und meine kleine Welt mit den Augen Gottes zu sehen – denn ich weiß: Gott ist bereits längst am Werke, auch wenn ich es noch nicht wahrnehme. / Gott ist längst im Kommen: das im Glauben zu wissen, das tut wahrlich gut!

Maria wird als „Hochbegnadete“ begrüßt: „Der HERR ist mir dir, fürchte dich nicht!“ Gott erwählt ausgerechnet die Maria zum Werkzeug Seiner Gnade: eine Frau aus der Landbevölkerung Galiläas / ausgerechnet eine Frau aus einer Gesellschaft, in der Frauen eher gering geachtet waren. Eine bis dahin unscheinbare Landfrau soll Gottes Sohn in die Welt gebären: da kommt das Kleinste und das Größte zusammen!

Das Kleinste und das Größte kommt überall dort zusammen, wo Gott am Werke ist. Und Gott ist sicher nicht nur in der Maria am Werke gewesen! Wie oft steht in der Bibel, dieser Satz: „Fürchte dich nicht, der HERR ist mit dir!“ Jedes Mal richtet sich dieses Wort an Menschen, denen Gottes Gnade unverdientermaßen gilt – und jedes Mal gilt Gottes Gnade dem Menschen, der dieses Wort glaubensvoll in seinem Herzen aufnimmt: „Fürchte dich nicht, der HERR ist mit dir! Freue dich deines Gottes, denn: Du hast Gnade bei Gott gefunden!“

Amen.