Predigt Juni 2013

Queergottesdienst am 16.06.2013, St. Johanniskirche Nürnberg

Predigt zu 2. Mose 3,1-14: Moses Berufung am brennenden Dornbusch

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen!

Es ist heiß, unerträglich heiß. Mose hütet die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters. Er hat Zeit zum Nachdenken. Er hat lange Gespräche geführt mit seinem Schwiegervater Jitro, dem Priester von Midian. Er hat dabei viel über Gott gelernt. Auch die Midianiter sind Nomaden, genau wie die Vorfahren des Mose. Er hat die Geschichten gehört, die man sich abends am Lagerfeuer erzählt von den Erzvätern Abraham, Isaak und Jakob. Geschichten mit ihrem Gott. Geschichten von endlosen Wanderungen mit den Schafen, immer den besten Weidengründen hinterher. Geschichten von Steinaltären mitten in der Wildnis, von einem der Erzväter errichtet, um an Erfahrungen der wunderbaren Bewahrung durch Gott zu erinnern und Dank zu sagen. Er hat gehört, wie die Väter in Ägypten ihre Frauen als ihre Schwester ausgeben mussten, um sie vor den lüsternen Angeboten der Ägypter zu schützen. Und wie die Söhne Jakobs schließlich nach Ägypten kamen, wo ihr Bruder Joseph sie schon erwartete. Der hatte es dort mit Klugheit und Gottes Hilfe bis zum zweiten Mann im Reich gebracht. Er hatte Ägypten vor dem Verhungern gerettet. Und doch hatten die Ägypter ein paar Generationen später vergessen, wem sie ihr Überleben in der Zeit der großen Hungersnot zu verdanken hatten: dem Hebräer Joseph, dem Sohn des Jakob.
Ägypten, immer wieder dieses schreckliche Ägypten. Auch Mose hatte dort ein Leben im Luxus geführt. Im Rückblick war ihm dieses Leben jedoch verhasst, jetzt, wo er die Dinge sah, wie sie wirklich waren. Eine Kultur, die alles tat, um dem einen Gottkönig Pharao die erlesensten Genüsse zu bieten – und den Hofschranzen, die nach tausenden zählten und für die immer wieder etwas von der Tafel des Pharao abfiel, mal größere, mal kleinere Häppchen. Dass die Basis, auf der diese Pyramide ruhte, dabei zerquetscht wurde, störte weiter oben niemanden. Die Arbeit mussten ausländische Sklaven verrichten, wertloses Volk aus den Tiefen der Wüste eingewandert.

Die Menschen werden ausgebeutet und unterdrückt. Das kennen wir auch in unserer heutigen Zeit: Prekäre Arbeitsverhältnisse wie befristete Jobs, sich abrackernd und darauf hoffend endlich fest übernommen zu werden, seine Zukunft vorausschauender zu planen. Zeitarbeitnehmer, die jederzeit auf Abruf stehen und meist schlechter bezahlt sind als ihre fest angestellten Kolleginnen und Kollegen. Betriebe werben bevorzugt Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten an, denn die sind schließlich billiger. Eine schwere Wirtschafts- und Finanzkrise sorgt dafür, dass vor allem in den südeuropäischen Ländern die Arbeitslosenquote auf Rekordstand ist. Besonders betroffen sind die Jugendlichen. Folge eines unverantwortlichen Handelns von Banken und Politikern.

Es ist heiß, unerträglich heiß. Mose denkt über Gott nach. Kann Gott mit dem Pharao sein? Steht Gott auf der Seite derer, die über Leichen gehen, um ihre Macht zu sichern? Ist Gott da, wo man die schönsten und größten Heiligtümer und Tempel baut ohne Rücksicht auf Verluste? Oder ist Gott ein Gott der Wüste?

Es ist heiß, unerträglich heiß. In der Ferne sieht Mose ein Feuer. Dürres Zeug, ein Dornbusch, hat sich in der Hitze entzündet. Das wird bald vorbei sein, hier, wo das Feuer kaum Nahrung findet. Aber Mose sieht noch einmal genauer hin: das Feuer brennt weiter. Der Dornbusch verbrennt nicht. Unbekannte Energie erneuert die Flamme immer und immer wieder. Mose spürt: hier hat er es mit Gott zu tun. Er nähert sich dem brennenden Dornbusch. Und dann hört er seinen Namen: „Mose, Mose!“ Er weiß sofort, dass Gott ihn anspricht. „Komm nicht näher! Zieh die Schuhe aus, denn du stehst auf heiligem Boden. Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.“

Mose spürt: Das ist etwas anderes als der Mummenschanz der ägyptischen Götter. Das trifft ins Herz. Hier spricht der Gott, dem schon seine Vorfahren gefolgt waren, aus dem fernen Ur in Chaldäa im Zweistromland durch Wüsten und Steppen bis hierher auf den Sinai. Mose verhüllt sein Angesicht.

„Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen. Ich will sie aus der Gewalt der Ägypter befreien und sie in ein Land führen, in dem Milch und Honig fließt. Dich sende ich zum Pharao, damit du mein Volk aus Ägypten herausführst.“

Jetzt wird es Mose angst. „Wer bin ich, dass ich dein Volk führen könnte?“
„Ich bin mit dir! Als Zeichen dafür werdet ihr mich hier an diesem Berg verehren, wenn ihr aus Ägypten herausgezogen seid.“

Doch Mose reicht das noch nicht. Er möchte den Namen des Gottes wissen, der ihn da zum Befreier seines Volkes beruft. Weil das Volk ja schließlich auch wissen möchte, wer Mose schickt, bevor es sich seiner Führung anvertraut.

Gott gibt Mose eine Antwort auf diese Frage. Er weist sie nicht etwa als unverschämt zurück. „Ich bin da!“ so nennt sich Gott. „Der Ich-bin-da hat mich zu euch gesandt.“, so soll Mose dem Volk sagen.
„Ich-bin-da!“ Mose stutzt. Ein seltsamer Name. Keiner, mit dem man seinen Träger in den Griff kriegen könnte. Keiner, der sich für religiöse Beschwörungsformeln eignet.

„Ich-bin-da!“ Kein Gottesname für Tempel und luxuriöse Heiligtümer. Eher einer, der in Zelten wohnt. Ein Wandergott, der mit seinen Leuten unterwegs ist. Einer, der immer schon da ist. Der sagt: Brich auf! Und wo immer du hinkommen wirst: Ich bin da!

Ich-bin-da hat Wort gehalten. Er ist mit Mose und den Israeliten aus Ägypten gezogen; er hat sie vor den Mordknechten des Pharao errettet und mitten durchs Schilfmeer geführt. Er ist vor ihnen hergezogen als Wolken- und Feuersäule und hat sie in der Wüste mit Wachteln und Manna gespeist. Er hat sie in ein Land geführt, das von Milch und Honig überfließt. Dort hat er sich dann doch einen Tempel bauen lassen, und als dieser von den Babyloniern zerstört worden war dann noch einen. Aber auch da, in den beiden Tempeln in Jerusalem, gab es kein Standbild, keinen von Menschen gemachten Götzen, den man anbeten konnte. Unsichtbar thronte er über den Cheruben, welche die Lade mit den Tafeln seines Bundes bewachten. Ich-bin-da – besonders bei den Menschen, denen sein Bund gilt. Von dem zweiten Tempel steht noch heute eine Mauer in Jerusalem: Der Ich-bin-da ist auch da, auch an dieser Ruine kann man ihn treffen, mitten in den Konflikten der großen Religionen lässt er sich, der Unsichtbare, anrufen.

Wie das Volk Israel eine Minderheit in Ägypten war, so sind wir Queers – egel in welcher Gesellschaft – eine Randgruppe. Auch für uns gilt Gottes Zusage „Ich bin da!“. Auch die Queergemeinde ist berufen, auch wir werden für Gottes Plan benötigt. Hier in der St. Johanniskirche stehen wir ebenfalls auf heiligem Grund, nur dass wir uns nicht die Schuhe ausziehen müssen.

Der Ich-bin-da war nicht nur im verheißenen Land dabei. In jeder jüdischen Familie in der ganzen Welt ist er da, wenn die Sabbatkerzen entzündet werden. Und er ist da, wenn sein Wort in der Synagoge rezitiert wird.

Viele Jahre nach Mose hat ein anderer aus seinem Volk ganz ähnlich von Gott geredet: Jehoschua ben Joseph aus Nazareth, der selber fast einem Kindermord wie dem der Ägypter zu Moses Zeiten zum Opfer gefallen wäre und der dann ausgerechnet nach Ägypten entkommen konnte; Jesus, dessen Geburt zuerst den Ärmsten der Armen angekündigt wurde: Hirten auf den Feldern bei Bethlehem; Jesus, von dem wir Christen glauben, dass er der Messias, der Christus ist. Er hat gesagt: Das Reich Gottes ist mitten unter euch! Gottes Herrschaft beginnt da, wo ihr es nicht erwartet. Es beginnt da, wo ihr mich als euren Retter aufnehmt. Auch der Gott und Vater Jesu Christi ist der Gott, der mitzieht mit seinem Volk aus allen Völkern. Er ist da, wenn Menschen zu ihm beten, wenn sie Gottesdienste feiern, wenn sie sich zu ihm bekennen und sich von ihm tragen lassen. Die Verheißung, die Mose am Horeb erhielt, gilt durch Jesus Christus für alle Menschen, nicht nur für sein eigenes Volk.

Und doch legt uns die Geschichte Fragen auf. Ich weiß nicht, ob der Ich-bin-da auch da war, wo sein Volk verfolgt worden ist wie in Ägypten oder noch viel schlimmer. War er auch in Auschwitz? Ich weiß es nicht.

Der sich in seinem Wort als der Ich-bin-da bezeichnet, der legt dem Schreiber des 22. Psalms die Frage in den Mund: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Wie sich diese Erfahrung der Gottverlassenheit zu der Verheissung „Ich-bin-da“ verhält, das ist eine offene Frage. Immerhin hat der Sohn Gottes nach unserer christlichen Bibel selbst diese Frage der Gottverlassenheit gestellt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Wer diese Frage in seinem Leben stellt, ist in guter Gesellschaft. Wer sich verlassen fühlt, hat Jesus, den Sohn Gottes, schon an seiner Seite.

Und soviel muss seit Mose klar sein: Gott ist nicht bei denen, die in seinem Namen über Leichen gehen. Gott ist da, wo die Bedrängten in die Freiheit ziehen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere herzen und Sinne in Christus Jesus

Amen.