Predigt März 2016

15-jähriges Jubiläum Queergottesdienst Nürnberg am 20. März 2016 in St. Johannis

 

Predigt zu Amos 5,21-24

 

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

 

Ja, liebe Festgemeinde, was sucht man sich als Queergemeinde für einen Predigttext zum 15. Jubiläum heraus? Am besten einen, in dem es selbst um den wahren oder falschen Gottesdienst geht. Denn in unserer Vorbereitungsrunde haben wir auf unsere Queergottesdienst-„Geschichte“ zurückgeblickt, haben überlegt warum und wie wir zum Queergottesdienst gekommen sind und ihn immer noch besuchen. Was spricht uns an, was unterscheidet ihn von den regulären Gemeindegottesdiensten und welche Vorstellungen haben wir für die Zukunft. Und so sind wir auf diesen durchaus provokanten Text gestoßen.

 

Der Prophet Amos zieht in diesem Text ziemlich vom Leder: Er sagt dem Volk Israel unmissverständlich, dass er deren Feiertage überdrüssig ist und diese verachtet, seine Versammlungen kann er nicht ausstehen. In der Einheitsübersetzung heißt es: „Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen.“ Gerade dieser vermeintliche Widerspruch zu unserem heutigen Festgottesdienst und unserer 15-Jahres-Feier finden wir spannend. An Brand- und Speiseopfer findet Amos keinen Gefallen und ihre fetten Dankopfer will er nicht mal ansehen. So heißt die Überschrift zu diesem Bibelabschnitt in der Lutherbibel „Der äußerliche Gottesdienst tut’s nicht“. „Tut weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!“ Amos ist sicher nicht gegen Lieder im Gottesdienst, hat aber was gegen den durchaus einlullenden Klang der Harfe. Ich weiß nicht, ob jemals bei uns Harfe gespielt wurde, aber der Liedauswahl kommt eine wichtige Bedeutung zu: Es ist schön, alte, eingängige und bekannte Lieder zu singen, aber es darf auch mal etwas Neues ausprobiert werden.

 

Unsere Queergottesdienste haben eine wiedererkennbare Struktur, das ist auch wichtig, aber sie werden nicht nach einem 08/15-Schema abgehandelt. Den Vorbereitungsteams wird Platz gelassen das Thema mit Impulsen, meditativen Mitteln oder einem Anspiel der Gemeinde näher zu bringen. Das ist auch der große Vorteil, wenn drei Personen sich in der Vorbereitung Gedanken machen und die Aufgaben verteilen, so dass bestimmte Punkte kreativer ausfallen können als wenn nur eine Pfarrerin oder ein Pfarrer einen Gottesdienst plant und die „Hauptlast“ trägt. Auf der anderen Seite sind drei zur Gestaltung eines Gottesdienstes nötig, zumal wir hauptsächlich aus Laien bestehen. Und was im Israel zu Zeiten des Propheten Amos wohl auch ein Problem war, soll bei uns vermieden werden: Texte sollen verständlich und offen gemacht werden, keine leeren, schalen Worte, kein Politiker-Sprech. Keine zu langen oder akademische Abhandlungen, dafür sind Kirchentagsseminare da. Die Bibeltexte sind in moderner Sprache auszulegen, auch wenn die revidierte Lutherbibel noch nicht vorliegt. Natürlich werden auch regelmäßig andere Übersetzungen verwendet. Kurzum: Wenn nicht verständlich gepredigt wird, dann ist alle Rede umsonst.

 

Für uns gilt – wie für alle Feiern in der Kirche – einen Bezug des Gottesdienstthemas zur Gegenwart herzustellen. Und im Speziellen haben wir Queers die Aufgabe den Bezug des Predigttextes zu unserer Zielgruppe, nämlich ihr queeren Menschen, aufzuzeigen. Das ist, wie ich und das Team wissen, oftmals gar nicht so einfach. Deswegen fragen wir uns bei der Vorbereitung: Was hat das mit meiner queeren Lebenswirklichkeit zu tun? Meist ohne Kinder und Enkelkinder, vielleicht mit dieser „2. Klasse-Ehe“, genannt Lebenspartnerschaft. Eine Minderheit sein, deren strafrechtliche Diskriminierung erst vor 22 Jahren vollständig aufhörte. Wie war es früher mit dem Umgang von homo- und bisexuellen Menschen und Transgender in der Gesellschaft bestellt? Und wie heute, etwa alles palletti? Bei solchen Gedanken im Hintergrund und dem Ziel unserer Besucherschaft etwas Ansprechendes anzubieten, entdecken wir doch oftmals Parallelen, die es lohnt mitzuteilen. Wie ein Familien-, Kinder- oder Jugendgottesdienst sind wir auch ein Zielgruppengottesdienst. Einer, der über die Grenzen von Nürnberg und Mittelfranken hinaus queere Christinnen und Christen anlockt. Es kommen Leute aus Coburg und Augsburg zu uns. Somit sind die Teammitglieder auch regional etwas verstreut, was Vorteil und Nachteil ist. Ein wichtiger Punkt, der nicht als selbstverständlich erachtet werden soll: Der Queergottesdienst ist nur möglich durch das ehrenamtliche Engagement der Teammitglieder, der Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Vikarinnen und Vikare, die das Abendmahl einsetzen, und die Musikerinnen und Musiker, die an der Orgel, in der Queerband oder Posaune spielen. Alle stellen einen Teil ihrer Freizeit zur Verfügung, damit diese Maschinerie Queergottesdienst mit seinen vielen unsichtbaren Aufgaben funktioniert. Ich habe eingangs gesagt, dass wir natürlich auch Wünsche für die Zukunft haben. Nachwuchs unter den Besucherinnen und Besuchern wäre nicht schlecht. Wir wollen, dass neben den langjährigen Teammitgliedern auch Neue hinzukommen, um den Queergottesdienst fortzuführen, dass uns weiterhin Geistliche aus dem Dekanat besuchen, um mit uns das Heilige Abendmahl zu feiern und wieder mehr Musikerinnen und Musiker für uns bereitstehen, um unsere Gottesdienste zu bereichern.

 

Stolz sind wir auf unsere offen vorgetragen Fürbitten. Viele Bitten, manchmal auch Anflehungen, aber auch Dank und Lobpreisung an Gott wurden hier vorne am Taufstein von St. Johannis über die ganzen Jahre von den Betroffenen selbst gesprochen und ein Licht dazu angezündet. Oder auf Kärtchen geschrieben, die dann vom Gottesdienstteam vorgelesen wurden. Ich kenne keinen Gottesdienst, der das auch in dieser Weise tut.

 

Jetzt mache ich einen Sprung zum letzten Vers unseres Predigttextes: „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ Zu diesem Vers muss man zum besseren Verständnis den Hintergrund und die Botschaft des ganzen Buches Amos wissen: Amos war von Haus aus ein Viehzüchter und Maulbeerfeigenpflanzer aus Tekoa, südlich von Bethlehem. Er wurde durch göttliche Berufung gegen Ende der Regierungszeit des politisch und wirtschaftlich überaus erfolgreichen Königs Jerobeam II. nach 760 v. Chr. als Prophet ins Nordreich Israel gesandt, wo er für kurze Zeit bis zu seiner Ausweisung am Reichheiligtum von Bet-El wirkte. Die Hauptanklage dieses ältesten Schriftpropheten richtet sich gegen die des Gottesvolkes unwürdigen Zustände im Staat, in der Verwaltung, im Gerichtswesen und in der Wirtschaft. Weil die oberen Schichten die Menschen niederer Herkunft und ungesicherter sozialer Lage zu bloßen Objekten ihres Erwerbs-, Macht- und Genusstriebs herabwürdigen und so das „Gottesrecht“ brechen, muss Amos das Todesurteil Gottes für das Reich Israel verkünden. Eine auf den Kult beschränkte Verehrung Gottes (wir erinnern uns an die ersten Verse) wird von Amos verworfen. Jahwe ist nach ihm so sehr ein „Gott für den Menschen“, dass selbst die Völkerwelt wegen Unmenschlichkeit und das Zertreten der fundamentalen Menschenrechte seinem Strafgericht verfällt.

 

Wir haben hiermit den Übergang von Amos scharfer Zurechtweisung, dass die Anbetung Gottes nicht durch rein äußerliche Rituale geschehen soll, sondern die Gerechtigkeit von der er schreibt bedeutet auch: Das Wort Gottes soll klar und deutlich und in der Interpretation trotzdem unverfälscht propagiert werden. Das Wort unseres Herrn darf nicht für selbstsüchtige Zwecke missbraucht werden. Und wir im Queergottesdienstteam haben zu diesem Punkt auf uns selbst und untereinander aufzupassen. Nicht, dass das ein großes Problem bei unserer Verkündigung ist, aber alle müssen sich gewahr sein, dass zum Beispiel die Predigt kein Forum ist, um seine eigene Agenda abzuarbeiten. Kritische Reflektion ist immer wieder nötig und hilfreich.

 

Das lebendige Wort Gottes ist wie fließendes Wasser in einem Bach, das Strömen hält es frisch, es fängt nicht an zu stehen und zu stinken. Auch wir Menschen sollen nicht im Denken und Handeln stehen bleiben – wir sollen immer nach Gerechtigkeit streben. Dazu fällt mir ein, dass ein schwuler Freund von mir meinte, es ist gut, wenn man die AfD aus Protest wählt, um „die da oben“ wach zu rütteln, wie es so viele bei den drei Landtagswahlen vergangenen Sonntag getan haben. Über die Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa mag man ja gerne anderer Meinung sein, aber es berechtigt auf jeden Fall uns Christen nicht für Angst, Hass und Vorteile zu stimmen. Vor allem halte ich es für ein Eigentor für uns bei den Meinungen, die dort über nicht heterosexuelle Menschen und Lebensgemeinschaften vertreten werden. Ja, vielleicht gilt hier ganz besonders: Es ist ein Hinfallen und wieder Aufstehen bei dem Streben nach Gerechtigkeit – aber wer liegen bleibt, hat verloren. Zu den Missständen, die der Prophet zu seiner Zeit in Israel erlebt hat (die Zustände im Staatsapparat, in der Verwaltung, in der Justiz und in der Wirtschaft, eine reiche Oberschicht, die die armen Menschen mit geringer oder gar keiner sozialen Absicherung ausnutzt) – dazu fallen uns problemlos zig Beispiele in unserer Zeit und allein in unserem Land ein. Es gibt viel zu tun auf dem Weg zur Gerechtigkeit und wir als Queergemeinde Nürnberg werden auch die nächsten Jahre das lebendige, frische, heilende, tröstende und zur Gerechtigkeit verhelfende Wort des dreieinigen Gottes verkünden. Am liebsten weiterhin in dieser schönen, kleinen Johanniskirche, in der uns die großzügige St. Johannisgemeinde schon lange Raum gibt. Auf die nächsten 15 Jahre so Gott will!

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.