Predigt März 2006 (5jähriges Jubiläum)

Queergottesdienst zum 5jährigen Jubiläum am Sonntag, den 19. März 2006

1. Statement

2001 war in meinem Leben eines der wichtigsten Jahre, wenn nicht sogar das wichtigste, sozusagen ein Umbruchjahr, in dem sich vieles änderte. 

Das Studium sollte abgeschlossen werden und der Weg in eine berufliche Unsicherheit stand vor mir. Beides kostete mich viel Kraft, konnte jedoch irgendwie halbwegs gut bewältigt werden. Und dann gab es da noch etwas, was schon seit vielen Jahren in mir schlummerte und auch zum vollen Bewußtsein gelangt war, aber eben nur innerlich.

Daß ich schwul bin, darüber war ich mir schon sehr lange im klaren, nur vor fünf Jahren da wurde die Sehnsucht dies leben zu wollen immer größer. So groß, daß dafür in meinem Inneren der Platz eben nicht mehr ausreichte und für mich der Weg des äußeren Coming Outs begann. Dieser Weg führte mich im Mai 2001 zum ersten Mal auch zum Queergottesdienst hierher nach Nürnberg. Da stand ich nun noch etwas abseits am Hans-Sachs-Platz und beobachtete erst mal eine Weile, was denn da so für Menschen durch die Tür zum Heilig-Geist-Spital gingen, bevor ich mich dann auch entschloß in die Kapelle hochzugehen und festzustellen: Ich bin nicht alleine.

Da ich bis damals eher ein Einzelgänger war, der auch schon zu Schulzeiten wegen seiner kirchlichen Aktivitäten geschmäht wurde und dann auch noch schwul war - zwei Stigmata auf einmal - konnte ich nun eindeutig sagen: es gibt einen Raum, wo beides möglich war ! Ohne Stigmatisierung. Oder um es mit einem Satz aus dem heutigen Text aus dem ersten Petrusbrief zu sagen, wo es heißt: „Laßt euch nicht mehr von euren Begierden treiben wie früher, in der Zeit eurer Unwissenheit“. Die Begierde war für mich nicht unbedingt eine Sexuelle, sondern das ständige Bestreben meine Homosexualität in mir festzuhalten, weil das ja nicht funktionieren kann, es in meinem Umfeld zu leben.

Die Zeit der Unwissenheit war nun vorbei: Ich kann schwul sein und ich kann das auch mit meinem Glauben an Gott verbinden. An den Gott, der „jeden ohne Ansehen der Person nach seinem Tun beurteilt“ und nicht nach seiner sexuellen Orientierung. Und die „von den Vätern ererbte Lebensweise“ nach der meine Lebensvorstellung unmöglich ist, gilt nicht mehr, weil Christus und Gott wollen, daß ich heilig bin und mein Leben ebenso heilig ist. In diesem HEILIG steckt das Wort „heil“, das heißt gesund, unverletzt, glücklich. Ja, daß ich ganz ICH sein kann, der ich bin.

Auf genau diesem Weg hat mich der Queergottesdienst in den letzten fünf Jahren immer wieder begleitet. Durch viele Höhen, und genauso durch die Tiefen. Ich bin dankbar für all die Begegnungen mit den vielen Menschen zwischen 18 und über 80, mit denen ich meinen Glauben als Schwuler Christ teilen konnte. Ich bin dankbar, daß ich meinen ersten Freund in meinem Leben hier beim Queergottesdienst kennenlernen konnte - auch wenn die Beziehung heute  nicht mehr besteht. Und ich bin dankbar, daß es hier im Queergottesdienst so ganz szeneuntypisch zugeht, so daß jeder abseits von Jugendwahn und so manchen Oberflächlichkeiten der sein kann, der er ist. Ein Mensch, der sich vor Gott als ganz HEIL und HEILIG empfinden darf.

2. Statement

Der Predigttext aus dem 1. Petrusbrief suggeriert, als gäbe es in der Hinwendung zu Gott ein deutliches Früher- Nachher, so als würden unsere Identitäten dabei völlig ausgetauscht.

Aber bei meinen Erfahrungen in der Queergottesdienstgemeinschaft stelle ich fest, wie sehr ich zu den Wurzeln meines Lebens zurückfinde.

Ich bin in einer großen Familie aufgewachsen, und wir gehörten damals zu einer strengen christlichen Glaubensgemeinschaft. Oftmals, wenn wir unsere alltäglichen Aufgaben verrichteten, haben wir mehrstimmig Kirchenlieder dazu gesungen, und es war ein Ausdruck unseres Vertrauens auf Gott und der Geborgenheit in der Gemeinschaft und im Glauben an ihn. Glauben war wie die Luft zum Atmen. Er hat unser ganzes Leben bestimmt. Glauben war nicht etwas für möglich oder für eventuell wahr und intellektuell brauchbar zu halten. Glauben war eine bewusste Lebensgestaltung und das daraus resultierende Engagement. Im Handeln war dieser Glaube spürbar und Gott gegenwärtig. Wir waren alle darin irgendwie eingebunden.

Aber dann wurde es für mich klar, dass ich eigene Wege gehen musste. Noch bevor ich richtig wusste, wer ich war und was mit mir los war, verließ ich diese Gruppe. Irgendwie war es klar, so wie ich war, konnte ich dort nicht bleiben, hätte ich keinen Raum unter ihnen.

Ich wurde in einer anderen Kirche aktiv, wo ich meine liberale Nische zu finden geglaubt hatte. Durch meinen Job in der Psychotherapie und mit einer theologischen Ausbildung war ich schnell mit vielen ehrenamtlichen Aufgaben betraut. Aber dann gab es doch Probleme. So wurde ich selbst plötzlich von anderen zum Seelsorgefall erklärt und meiner Aufgaben enthoben.

Ich bin gegangen. Ich konvertierte ein zweites Mal.

Eigentlich hatte ich mein Leben aufgeteilt. In der Kirche war ich ein Ausgegrenzter wegen meiner sexuellen Orientierung und im schwul- lesbischen Freundeskreis ein Außenseiter, weil für mein Leben Gott eine solche große Bedeutung hat.

Irgendwie drohte mir, mich dabei meiner selbst zu entfremden: Um dazuzugehören, sollte ich innerlich was abbiegen, auch wenn es so existentiell mit meinem Leben verwoben ist.

Das erscheint mir heute wirklich wie eine „Zeit der Unwissenheit“.

Der Ausdruck von der Begierde oder der Leidenschaft im Predigttext ist hart, will Widerspruch wecken und doch hat sein Erschrecken etwas Heilsames:

Diese besessene Idee, dieses eine Leben, das ich habe, auftrennen zu müssen um nicht gänzlich zu kurz zu kommen, um doch die Akzeptanz anderer zu bekommen, das passt auch schon ganz gut zu dem Begriff von der Begierde: Ich schien was vom Leben zu begehren, was ich brauchte und was ich wollte, doch der Hunger nach dem Stück vom großen Kuchen machte die Entbehrung ja nur umso schmerzlicher. Und auch dies wurde mir klar: Wie sehr ich mir auch wünschte, mit mir in Übereinstimmung zu leben, jede Scheinlösung würde mich nur in die Aufspaltung treiben!

Diese „Zeit der Unwissenheit“ ist Gott-sei-Dank! vorbei.

Ich beziehe meinen Selbstwert nicht zuerst durch die Außenwelt und was die Gruppen von mir denken, zu denen ich gehöre.

Gott ist der Ursprung des Lebens, er ist wie ein Vater oder die Mutter, die nicht nach dem Ansehen der Person urteilt, sondern sagt: „Ich hab dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“

In Jesus zeigt Gott seine radikale Menschenliebe, die uns aus der Menschenfurcht und der Schummelei vor uns selbst und den anderen herausreißen will, dass wir uns nicht mehr verbiegen und „in uns verkrümmt“ gehen müssen.

Bei Gott finde ich zu den Wurzeln meines Lebens zurück, die mir Kraft geben, und die mich aufrecht und befreit stehen lassen!

Die Queergottesdienstgemeinschaft ist so ein Ort in der Kirche, wo dies erfahrbar wird, dass ich, dass wir, egal wie queer wir sind, dass jede und jeder für sich ein ganzer Mensch ist und als solcher von Gott angesprochen wird. In der Gemeinschaft und in der Solidarität sind Gott und seine Liebe gegenwärtig und erfahrbar.

Hier dürfen wir ganz sein. Genau das meint doch der Bibeltext, wenn er uns auffordert „heilig“ zu sein: ganze und ungeteilte Menschen. Das ist eine andere Art zu übersetzen: Wir sollen so ganz, so heilig und integer sein, wie es unser Vater im Himmel ist. Nicht mehr zersplittert und nicht fragmentiert!

Hier deckt sich der Wunsch für mein Leben, und hier decken sich, was ich in Job und Kirche zu sagen habe: Dieses eine Leben ist gut und es ist lebbar, lebenswert!

Zum guten Schluss: was nun das gemeinsame Glauben und Singen anbetrifft und das Involviertsein in die vielen Aufgaben für die Queergottesdienstgemeinschaft, da bin ich tatsächlich wieder bei meinen ersten Wurzeln angelangt.

3. Statement

Was bedeutet „Queergottesdienst“ für mich?

1. Der Queergottesdienst ist für mich  ein christlicher Raum, in dem ich nicht Minderheit bin, sondern Mehrheit

Hier rede ich nicht viel über meine gleichgeschlechtliche Beziehung, weil sie selbstverständlich ist und nicht weil ich mir peinlich berührte und ach so verständnisvolle Reaktionen meiner heterosexuellen Umwelt ersparen möchte.

Gleichzeitig ist der Queergottesdienst ein Raum, in dem ich endlich mal über gleichgeschlechtliche Liebe reden kann, auch im Gottesdienst und in der Predigt und ein selbstverständlich mitfühlendes Publikum vor mir habe.

Das Verständnis für die Partnerinnenschaft könnte ich am Rosa Freitag auch haben. Ein Mitfühlen mit einem Leben mit Gott dagegen nicht. Im Queergottesdienst gibt´s beides!

2. Der Queergottesdienst ist für mich auch ein Raum der Stärkung für meine Identität

Manchmal wird kritisiert, wir würden uns hier in ein Getto zurückziehen im Queergottesdienst. Und das sei doch nicht notwendig. Doch, leider ist das notwendig, und es wird vermutlich immer notwendig sein, weil nicht-heterosexuelle Menschen nunmal konstant eine Minderheit bilden.

Gäbe es diesen Raum nicht, in dem meine Liebe normal ist, würde ich mich wahrscheinlich selbst nie mit meiner Art zu Lieben akzeptieren können.

Das Zusammengehören als queere Christinnen und Christen macht mich stark.

Es lässt mich dann aber auch zu einer inneren Selbstverständlichkeit gelangen. Die plakative Phase des Coming outs ist damit vorbei. Ich muss nicht mehr mit einem gedachten Schild auf der Stirn herumlaufen „Ich liebe als Frau eine Frau“, das ich dann jeder vor Augen halte, auch denen, die es nicht hören wollen, geschweige denn denen, die damit nicht umgehen können.

Meine Eltern, Geschwister, Freundinnen und Freunde haben sich dran gewöhnt. Mein Chef muss es nicht wissen. Ich bin nicht mehr bereit, das Bauernopfer zur Überwindung der Homophobie meiner Umwelt zu erbringen. Ich weiß um mich und liebe mich, wie ich bin. Zumindest meistens. Das ist die eine Seite: Ich weiß um meine Art zu lieben und ich mag meiner Art zu lieben. 

Doch dies bedingt die andere Seite:

Ich kann mich – gestärkt durch die Erfahrung des Queergottesdienst – wieder in nicht-queeren Gottesdiensten wohlfühlen.

Ich kann also wieder in einen normalen christlichen Gottesdienst gehen, ohne die Warnblickanlage für heterozentrische Einseitigkeiten ständig eingeschaltet zu halten. Was nicht heißt, dass mir nicht auffallen würde, dass die allgemein-christliche Sprachregelung immernoch nicht über das Schwarzweißbild der „Eheleute und Alleinstehende“ hinausgekommen ist. Doch, ich bemerke es schon noch, aber ich kann es heute bemerken - und dazu innerlich lächeln. Zumindest meistens. Auch das ist ein Verdienst des Queergottesdienstes.

Das, was ich früher selbst schwarz-weiß malte, die Welt, die ich eine zeitlang selbst radikal in hetero und homo einteilte, ist queerer geworden, d.h. die Grenzen haben sich geöffnet, Überschneidungen und ein neues Miteinander sind möglich geworden, weil es der Rückzug in den Queergottesdienst ermöglicht hat, mit mir selbst Frieden zu schließen.

Deshalb möchte ich jetzt und hier ganz ausdrücklich und von Herzen unsere heterosexuellen Gäste begrüßen, die hier mal in der Minderheit sind! Herzlich Willkommen hier im Queergottesdienst!

Möge der Queergottesdienst dazu beitragen, dass eine nicht hetero-sexuelle Orientierung in den christlichen Kirchen so selbstverständlich wird, dass ein vorurteilsfreies Miteinander der Lebensformen möglich wird.

Amen