Predigt April 2007 (Abschlussgottesdienst LSGG-Treffen)

Queergottesdienst am Sonntag, den 15. April 2007

Abschlussgottesdienst des LSGG-Treffens
„Unsere Grenzen überqueeren“
zu Jesaja 40,26-31

Hebt eure Augen in die Höhe und seht: Wer hat die (Sterne) dort oben erschaffen? Er ist es, der ihr Heer täglich zählt und heraufführt, der sie alle beim Namen ruft. Vor dem Allgewaltigen und Mächtigen wagt keiner zu fehlen. Jakob, warum sagst du, Israel, warum sprichst du: Mein Weg ist dem Herrn verborgen, meinem Gott entgeht mein Recht? Weißt du es nicht, hörst du es nicht? Der Herr ist ein ewiger Gott, der die weite Erde erschuf. Er wird nicht müde und matt, unergründlich ist seine Einsicht. Er gibt dem Müden Kraft, dem Kraftlosen verleiht er große Stärke. Die Jungen werden müde und matt, junge Männer stolpern und stürzen. Die aber, die dem Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft, sie bekommen Flügel wie Adler. Sie laufen und werden nicht müde, sie gehen und werden nicht matt.
(Jesaja 40,26-31 – Einheitsübersetzung)

1. Am Gartenzaun

„Ja, Grüß Gott, Frau Nachbarin. Was haben sie denn für einen schönen Baum...“ „Ja, gell, was ganz was besonderes: Ein Tulpenbaum.“ „Hab ich ja noch nie gesehen. Toll! Und da hinten, Ihre Clematis – wieder eine Blütenpracht!“ „Ja, ich freu mich so über die schönen Gewänder. So bunt! So schön! Und die Hortensien – prall und voll, dicke weiße Blüten. Eine Freude! Pause Und was haben Sie Schönes?“ „Bei mir wachsen die Erdbeeren und der Rhabarber mit seinen großen Blättern und der Lauch steh schon schön da! Alles auf Gottes großem Garten!“ „Ja, und dann frisch auf den Tisch des Herrn! Sie haben immer so eine Vielfalt und so leckere Sachen. Immer wenn ich bei Ihnen über den Zaun schau, läuft mir das Wasser im Mund zusammen!“ „Und wenn ich rüber schaue, dann gehen mir die Augen über…“

Liebe Queer-Gemeinde,

habt ihr die Beiden vor Augen, irgendwo am Gartenzaun, eben noch beim Umgraben oder beim Alte-Blätter-Wegzupfen, da geht der Kopf hoch, weg vom eigenen Planquadrat und fällt auf den Nachbarsgarten und die Pracht, die sich einem da bietet. So anders als die eigene kleine Gärtnerei. So begehrenswert. Nachbars Kirschen… Nachbars Kirchen. Nachbars Queer-Gemeinde!

Welche Prachtentfaltung gibt es da zu sehen? Gestern beim Anfangsplenum haben wir den Blick gewagt über den eigenen Zaun. Haben das Gartentürchen weit aufgestoßen und sind mit Freude einhergeschritten, aufeinander zu, denn: Was erwartet Ihr von den Queergemeindetagen? Freundinnen treffen und neues erfahren und belebte Diskussionen und offenes Reden. Und noch mehr solcherlei Fragen haben wir uns stellen lassen: Wie seid ihr organisiert? Was lief toll bei euch im letzten Jahr? Was trägt euch als Queergemeinde, was ist der Glaube, der uns zusammenhält?

Struktur und Organisation - Manchmal läufts so dahin und man weiß gar nicht wie und warum und einer hat den schönen Satz gesagt: Lasst uns nicht so viel festschreiben und organisieren, damit der Heilige Geist auch noch was zu tun hat! Aber auch gut, zu sehen: was haben wir und was haben wir geleistet: Neue Frauen und Männer gefunden, die mitmachen. Ein Grillfest – oh, das hatten wir nicht!! Wir haben unser Fünfjähriges gefeiert! Bravo! Und was fehlt uns noch: jüngere Besucher und wo sind die Frauen?!?! Manche Fragen bleiben…

Und dann das Eingemachte: Was trägt uns, was ist der Glaube, der uns zusammenhält. Eine Frage an uns alle! So aus dem Stand eine schwere Frage  – komisch, wo es doch unsere Grundlegung ist. Was ist uns wichtig? Warum sind wir hier? Warum sind wir hier-queer? Jede und jeder von euch hat eine Antwort. Aber das verstehe ich unter Gemeinde und das ist die Offenheit von Christen und von Suchenden und von denen, die sich über den Zaun trauen: Diese Frage zu beantworten, nicht endgültig, stotternd vielleicht und sich korrigierend, aber auf dem Weg dahin fragend und mit Interesse an den andern und ihren Antworten. Das ist der Blick über den Zaum mit Neugier und mit offenem Türchen. Wo ich weiß, wie es in meinem Garten aussieht, wie ich meinen Queergottesdienst feiern möchte, aber gerne mich einladen lassen, vom Gemüsegarten rüber in den Ziergarten und da mitfeiere. Dann aber auch der Blick auf eine undurchlässige Grenzmauer. Aufgebaut aus diesen Versatzstücken aus Beton wie die Berliner Mauer: Eine Platte steht für die Kirche mit ihrem kalten Amtsherz. Eine Platte voll von Verletzungen, Abweisungen. Eine Betonplatte selbst aufgestellt, weil du sonst irre geworden wärst an der Logik: die umarmen mich nicht mehr, wenn ich sag, ich bin schwul; die schauen weg, wenn ich sag, dass ich ein Frau liebe! Wer kann diese Mauer mit Stacheldraht und ständigem Wachposten verdenken?!

Ich persönlich als Pfarrerin der bayerischen Landeskirche lerne immer mehr, mit den Mechanismen zu leben und meinen Weg zu suchen, Grenzen zu umschleichen – möglichst ohne Gesichtsverlust vor mir. Aber ich bin so verrückt, mir zu wünschen, dass ein Kirchenoberer mal aufsteht und sagt: „Schön, dass ihr da seid, ihr Lesben und Schwulen, schön, dass ihr Gottesdienst feiert – mit uns und mit euch. Schön, dass ihr mit uns arbeitet und denkt und liebt und schön, dass ihr anders seid und wir auch.“

Ja, ein Traum. Aus dem ich zuweilen aufwache und denke: „Mein Weg ist dem Herrn verborgen, meinem Gott entgeht mein Recht!“ Fragen an Gott. Fragen nach dem Warum der Mauern und ob ich eigentlich immer diejenige sein muss, die sie bearbeitet, analysiert, durchschaut, versteht und sich durchringt, irgendwie mit ihnen zu leben. Sieht Gott denn mein Unglück nicht? Will Gott, dass alles so ist, wie es ist? Oder will er es eigentlich gar nicht so, hält sich aber raus?  Kann ich die Grenze zwischen Gott und mir überwinden?

Grenzen machen neugierig. Aber Grenzen sind auch anstrengend. Sie sehen und ihnen Namen geben. Und den andern fragen. Aber ist das nicht Gemeinde? Miteinander weiter gehen. Weiter suchen. Und darauf vertrauen und vor allem einander zusprechen: Gott gibt dem Müden Kraft, dem Kraftlosen verleiht er große Stärke.

 

2. „Über den Wolken“

 „Hebt eure Augen in die Höhe und seht: Wer hat die (Sterne) dort oben erschaffen? Er ist es, der ihr Heer täglich zählt und heraufführt, der sie alle beim Namen ruft.“

Man müsste sich mal vom Gartenzaun lösen und wie Karlson vom Dach die Welt und die Zäune unter sich lassen und sich alles von oben anschauen. Was entstünde dann für ein wunderbarer Flickerlteppich vor dem eigenen Auge? Vor der Flurbereinigung, versteht sich! Krumme Wege und wilde Hecken, grüne Wiesen und braune Felder, die brach liegen. Die sich ausruhen vielleicht für etwas Neues, nie Dagewesenes, wer weiß…

Abstand vom Ich wäre das wohl. Abstand vom eigenen kleinen Garten. Ich war gestern in dem Workshop „Abendmahl queer“ und wir sind so ein bisschen zu dem Schluss gekommen, dass jede Queergemeinde ihren Gottesdienst, ihr Abendmahl in der Tradition feiert, in der sie steht. Und das vor allem: Das die anderen eingeladen sind. Dass Gastfreundschaft besteht. Dass die Konfessionen nicht aufgehoben sind. Es soll ja keine wilde Ökumene geben! Doch Flurbereinigung also, wo jeder sein Flickerl hat in der eigenen Farbe?! Wo Großzügigkeit herrscht, Gastfreundschaft, Interesse und die Fähigkeit, den andern so sein zu lassen, wie sie ist. Wo Konfession etwas Positives ist. Die Konfession „Ich bin lesbisch“ und die Konfession „Ich bin katholisch“.

Für mich bedeutet Abendmahl feiern, die Grenze zwischen Gott und mir zu überwinden. Aber: Nicht ich mache das. Nicht ich kann das herstellen. Nicht durch besondere Würde oder Weihe, nicht durch besondere Frömmigkeit oder Freigiebigkeit. Jenseits jeder Konfession sind wir da zusammen. Jenseits unserer eigenen Gastfreundschaft schenkt Gott uns Nähe. Er steigt über die Grenze zwischen Gott und Mensch. Wird Mensch. Wie wir und doch anders. Er lebt Gemeinschaft. Er schenkt Abstand vom Ich und von meinen Gartenzaun. Wenn wir hier vorne gemeinsam stehen und miteinander feiern – dann geht der Blick zum Mann neben mir, zur Frau gegenüber. Dann geht der Blick auf den, der  mitten unter uns ist.

Das ist der Blick über den Zaun, über die Grenzen. „Der Herr ist ein ewiger Gott, der die weite Erde erschuf. Er wird nicht müde und matt, unergründlich ist seine Einsicht.“ Unergründlich bleibt, was beim Abendmahl geschieht. Gott geschieht. Geheimnis des Glaubens.

 

3. In weiter Ferne so nah

Und doch in uns diese Sehnsucht, zu überwinden, was uns trennt. „We are family!“ oder?! Die Sehnsucht ist es doch auch, die uns nährt. Die ist es, die uns Gemeinde sein lässt. Die uns weiter fragen lässt: Wer sind wir? Was ist der Grund, warum wir hier sind, trotz der Mauern und Grenzen, trotz der Verletzung und der unbeantworteten Fragen? Wie kann das alles werden mit evangelisch und katholisch und Männern und Frauen und Trasgender und schwul und lesbisch und bi und weiß noch nicht wie. Und mit der Kirche? Und mit mir und Gott? Ist ja klar, dass wir hier nicht, auf diesen Queergemeindetagen und in unsern Queer-gemeinden und in diesem Gottesdienst die Fragen lösen. Oder beantworten. Und ich persönlich möchte auch keine schnellen Antworten: Na, Ihr seid so und wir sind so und ist gut so. Das empfinde ich als zu kurz. Wir müssen uns wieder sehen. Wir sind Gemeinde unterwegs.

Und das vor allem: Wir sind nicht endgültig. Wir sind hier nicht fertig. Es gibt Größeres. Jenseits von uns und unsere Vorstellung und unseren Grenzen. Ich glaube, dass wir irgendwann mal alle zusammen mit Gott Abendmahl feiern werden. Und das wird ganz anders sein, als alles, was wir uns ausmalen – theologisch und überhaupt. Es wird ganzer und voller und runder sein als all unsere Bemühungen. Das ist aber kein billiger Trost, kein Vertrösten, keine Erlaubnis, die Hände in den Schoß zu legen. Im Gegenteil: Wir schmecken hier schon – hier und heute und immer wieder, wenn wir Abendmahl feiern – wie freundlich Gott ist. Wir haben hier einen guten Vorgeschmack, einen wahren Abglanz, eine große Vorfreude. Das soll uns beflügeln. Bestärken, nicht aufzugeben und uns entmutigen zu lassen. Von keinem kalten Amtsherz und von keinem verborgenen Gott. Und von keinen queeren Grenzen zwischen uns.

„Die aber, die dem Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft, sie bekommen Flügel wie Adler. Sie laufen und werden nicht müde, sie gehen und werden nicht matt.“

Amen