Predigt August 2008 (CSD-Gottesdienst)

Predigt zum CSD-Gottesdienst am Sonntag, den 3. August 08 um 11:30 Uhr in der Lorenzkirche Nürnberg zu Lukas 18, 9-14

 

Da schalte ich neulich den Fernseher ein, kommt „Leute heute“, meine Lieblingstratschsendung im ZDF. Der Moderator kündigt eine Traumhochzeit an, nach 14 Jahren wilder Ehe haben sie sich endlich getraut. Das Paar wird mit Reis beworfen, Sabine Christiansen gesteht ins Mikro, dass sie Freudentränen vergossen hat. Ich sehe einen Mann, wie er beim Polterabend Geschirr zerdeppert und gesteht, froh zu sein, endlich unter die Haube zu kommen. Ich höre einen anderen Mann, der sagt, nein, Hochzeitsreise sei keine geplant, höchstens ein Wochenende in Venedig. So gesendet und gesehen letzte Woche und es war, Ihr ahnt es schon, die Hochzeit von Berlins regierendem Friseur Udo Walz war und seinem Freund und Geschäftsführer Carsten Thamm.

Liebe CSD-Gemeinde,

warum erzähl ich euch das alles? Weil ich mich abgrenzen muss, weil das alles hetiger war, als die Polizei erlaubt, weil Udo und Carsten normaler sein wollen als normal, weil sie sich umarmen lassen von Leute heute und Bild.de, weil sie die Rituale nicht verfremden oder neu erfinden, sondern weil sie einfach nur „copy and paste“ drücken.

Vor allem erzähle ich euch das, weil ich zu diesem veröffentlichten Homobild nicht gehören will. Weil ich mich abgrenzen will.

Oder in anderen Worten: „Ich danke dir Gott, dass ich nicht so bin wie die andern Leute!“

Dieser Pharisäer aus dem Lukasevangelium weiß genau, wogegen er sich abgrenzen will. Gegen die da unten, die leider draußen bleiben müssen, während er ganz nah ran darf. Gegen die andern. Gegen die Sünder. „Ich danke dir Gott, dass ich nicht so bin wie die andern Leute!“ So kann man schön scheel aus dem Fenster auf die schauen, die anders sind. Und dann dieser klitzekleine Zöllner, Outsider, der so weit weg ist. Auch von uns: Mit seiner Demut, mit seiner Sünde, mit seiner Gnade. Mit diesen Worten, die wir nicht mehr durchbustabieren können. Alte Gschichtn!

Letztens habe ich eine Freundin nach München auf den CSD eingeladen und sie sagte,  dass sie keine Lust hat auf diese schrillen Schwulen auf ihren Wagen, die nur sich selbst feiern und präsentieren und dass sie ihr der politische Aspekt des ganzen fehlt. Da will sie nicht mitmachen.

Abgrenzung aber allenthalben! Auch oben auf dem Wagen gegen die braven Bürger am Fenster: „Ich danke dir Gott, dass ich nicht so bin wie die andern Leute in grauen Anzügen!“

Ob so ein gstandner Lederschwuler oder eine Kurzhaar-Lesbe sich immer an Gott wenden würde in ihrer Dankbarkeit?! Hmm... Die Probleme mit der Kirche kommen ja nicht von ungefähr, und lesbische und schwule Liebe wird immer noch als Sünde bezeichnet. Wer von uns kann den Satz „Gott sei mir Sünder gnädig“ mitsprechen ohne dabei einen Klos in den Hals zu kriegen?! Da grenzen wir uns klar ab: Unser Begehren, unsere Liebe ist nicht sündig. Wir lassen uns das nicht mehr einreden! „Ich bin froh, dass ich nicht so bin wie die andern Leute in Papsthut und Bischofsrock!“

Wenn Kirche ausgrenzt, dann grenze ich mich ab. Die anglikanische Kirche steht vor ihrer Spaltung. Der konservative Flügel ist gegen den schwulen Bischof Gene Robinson und Frauen sollen nicht als Priester zugelassen werden. Zu dieser Abgrenzung fällt mir, ehrlich gesagt, gar nichts mehr ein – außer vielleicht: „Ich danke dir Gott, dass ich nicht so bin wie die konservativen anglikanischen Landeskirchen!“

Ach abgrenzen, liebe CSD-Gemeinde, sich abgrenzen hat schon auch was für sich: andere beurteilen, sich dem Wissen hingeben, dass man weiß, wo’s langgeht, sich über andere stellen, weil man selber die Welt durchschaut hat. Das macht einfach manchmal Spaß und muss sein. Was auch sein muss, ist ein bisschen Stolz – Pride! Wir Lesben und Schwule können stolz sein auf uns, uns auf die Brust schlagen und bald 30 Jahre CSD feiern. Pride – Stolz sollen wir fühlen über das, was wir sind, wer wir sind, wen wir lieben. Stolz zeigen, wie bunt wir sind, wie normalvonmiraus, wie unnormal, wie mitten in der Gesellschaft, wie nicht besser als die anderen und doch viel schöner ;-) Stolz auf unsere Lebenswege, auf das Coming-Out, auf die Freiheit, die wir uns erkämpft haben, stolz auf unser Begehren, auf unsere Liebe!

Und ich finde, wir können stolz sein, hier in der Lorenzkirche zu sitzen. Stolz und froh sein, dass wir hier als diese große vielfältige CSD-Gemeinde Gottesdienst feiern. In diesen alten Mauern, die schon so viel gesehen haben, in denen so viel gebetet und gesungen wurde, und die uns auch aushalten und nicht zusammenbrechen. Stolz kann die Nürnberger Queer-Gemeinde sein auf sieben ? Jahre reges Gemeindeleben, auf Kommen und Gehen, auf Gemeinschaft, Sich-Aushalten, Gottsuchen und Leben feiern.

Da gibt es keinen Grund, sich klein zu machen. Keinen Grund, fern zu stehen. Keinen Grund, die Augen demütig niederzuschlagen. Wir müssen uns meiner Meinung nach nicht kleinmachen vor der Gesellschaft. Obwohl wir wohl alle solche Situationen kennen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich als lesbische Frau nicht ernst genommen werde, besonders von Hetero-Männer, dass sie diesen wichtigen Teil von mir gerne übergehen, mich in ihre Schublade stecken, mich nicht wahrnehmen als eine, die sie nicht will! Mir fehlt dann oft der Mut oder auch die Bestimmtheit, mich nicht vereinnahmen zu lassen. Da fühl ich mich klein gemacht, da mach ich mich klein.

Ehrlich, ich finde auch, dass wir Homos uns in einer Überanpassung, in einer Normalisierung klein machen. Wo bleibt denn da das queere, quere, komische, schräge, ungenormte?! Und ich finde, dass meine evangelisch-lutherische Kirche sich ohne Not klein macht, wenn sie Angst hat vor der möglichen Reaktion des Lutherischen Weltbundes auf eine mögliche Wahl eines schwulen Bischofs in Nordelbien. Ich wünschte mir, dass man auch als Kirchenleitung selbstverständlich stolz sagen könnte: „Ja, das ist der schwule Chorleiter, ja, das ist die lesbische Pfarrerin und das ist auch gut so!“

 

Liebe CSD-Gemeinde,

da steht er nun im Evangelium, in der altn Gschicht, der klitzekleine Zöllner, Meter weit weg vom eigentlichen Geschehen, vom Place-to-be, schlägt die Augen nieder und sich an die Brust: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Komischer Satz, im Jahr 2008 kaum zu verstehen, in einem CSD-Gottesdienst allzumal. Vielleicht auch kaum zu sprechen. Sollen wir sagen, wie wir vorhin gesungen haben: „Gott, nimm mich wie ich bin!“ Mir kommt zuweilen wie der letzte sagbare Satz vor. „Gott, sei mir Sünder gnädig! Gott, nimm mich wie ich bin!“

In meinen Ohren klingt der Satz nicht klein, nicht kleingemacht. Demütig vielleicht. Demütigt, weil weise. Ich habe nicht einen Menschen vor Augen, der sich klein macht, weil er denkt, dieser Gott will kleinescheuestummegraue Menschen.

In meiner Vorstellung steht da einer, der weiß, wer er ist. Der weiß, dass er nicht aus sich heraus lebt, dass er sich selbst nicht die Rettung sein kann, dass er sich nicht selbst an den Haaren aus den Sümpfen seines Lebens ziehen kann.

In meiner Vorstellung steht da einer, der auch weiß, dass der Stolz seine Grenzen hat. Das der Stolz nicht sein Leben erfüllt, dass der Stolz ihm kein Leben schenkt. Stolz als Sekundärtugend vielleicht. Stolz darf er sein auf seinem bunten Wagen, auf dem Jakobsplatz oder heute beim Pumpsrace. Stolz, dass er ist, wer er ist. Aber der weiß, dass es viele Momente gibt, auf die er nicht stolz ist.

In meiner Vorstellung steht da einer, der sich nicht abgrenzen will; dem das Thema völlig egal ist, der sich nicht über Udo Walz und seine Hetenhochzeit erheben muss, der nicht vor sich hinbrummelt, mit einem Auge nach den andern schielt, der nur auf sich bezogen spricht. Für mich steht da einer, der weiß und hofft und glaubt. Dass er Gott nicht für sich reklamieren kann, dass Gott sich herbei zitieren lässt, weder mit besonderer Frömmigkeit noch mit besonderer Demut. Das merkt er; und ermerkt noch etwas anderes: Gott grenzt sich nicht ab, er lehnt nicht an seinem göttlichen Fenstersims und amüsiert sich über die sündhaftkleinen Menschen. Irgendwas in dem kleinen Zöllner-Ich spürt, dass Gott liebevoll schaut und dass er gemeint ist. Der Abstand verringert sich. Gott ist schon längst gnädig ist, bevor wir uns noch überlegen kann, wie das Wort wohl auf neudeutsch wohl heißt.

Völlig frei stehen wir da, nur Gott und wir. Völlig im Bewusstsein der eigenen Angewiesenheit. Als würde tief der Seele der Satz schweben: „Gott, nimm mich wie ich bin: ein Mensch, unvollständig, sexuell, stolz, scheu, bunt, lebendig, Mensch!“

Und Gnade ist die Antwort Gottes: „Ich bin da!“

Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen