Predigt Februar 2008

Queergottesdienst am 17. Februar 2008

Predigt zu Hebr. 11, 8-10

(8) Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme.

(9) Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung.

(10) Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.

Liebe Töchter und Söhne Abrahams, liebe Geschwister!
Die heutige Predigt könnte man überschreiben mit:
Zelten mit Abraham, oder: Sehnen – Glauben – Gehen

Im Predigttext wird uns Abraham als leuchtendes Beispiel für ein gelungenes Leben im Glauben vorgestellt, in einer Reihe mit vielen anderen Figuren aus dem Alten Testament (Abel, Henoch, Noah, Sara, Isaak, Jakob, Josef, Mose, Rahab). Die Bibel berichtet, dass Gott zu Abraham sagte: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein (1.Mose 12,1+2).

Abraham hat den Ruf Gottes gehört. Er hat geglaubt, dass Gott zu ihm spricht (, und er ist Gottes Stimme gefolgt und ist losgezogen, mit seiner Frau Sara und seinem Neffen Lot und all ihren Besitztümern.

Der Predigttext begründet aber auch, warum Abraham dies tun konnte: mit seiner Sehnsucht. „(10) Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.“ SEHNEN: Für diese Sehnsucht nahm er viel Risiko und Unannehmlichkeiten in Kauf. Für diese Sehnsucht lebte er jahrelang im Zelt in Kanaan. Ohne diese Sehnsucht wäre er wohl kaum losgegangen.

Auch wir haben eine Sehnsucht, die uns treibt – wir alle, die wir hier sitzen. Mal ist sie stärker, mal weniger spürbar. Bei jedem sieht sie anders aus, und sie kann ihr Gesicht mit der Zeit verändern.

Unsere Sehnsucht hängt immer auch damit zusammen, was uns gerade fehlt in unserem Leben.

  • Vielleicht haben wir eine unheilbare Krankheit und sehnen uns nach Gesundheit, nach Lebensqualität und danach, nicht allein gelassen zu werden.
  • Wir genießen den Luxus, uns nicht danach sehnen zu müssen, uns einmal satt zu essen.
  • Vielleicht sehnen wir uns nach einem Job, der uns gefällt, nach einer Aufgabe, die uns erfüllt?
  • Oder gefällt uns unser Job, aber wir sehnen uns nach einem besseren Miteinander im Kollegenkreis? Nach einer Chefin, die weiß was sie tut?
  • Ersehnen wir eine Beziehung? Oder gibt es Probleme in einer Beziehung, deren Lösung wir herbeisehnen? Sehnen wir uns vielleicht nach einem Wochenende allein?
  • Oder sehnen wir uns danach, dass unser nervenaufreibender Charakter sich doch endlich ändern möge?

Welches Gesicht meine konkreten Sehnsüchte auch gerade tragen, immer steckt noch eine andere, tiefere Sehnsucht dahinter. Nach Heilsein. Nach sinnvollen Aufgaben im Leben. Nach Frieden mit meinen Mitmenschen. Nach Gerechtigkeit, nach Liebe. Nach Freiheit oder Sicherheit. Nach echtem Leben.

Für Abraham war das Ziel seiner Sehnsucht die Stadt auf festem Grund, von Gott weise und liebevoll erbaut. Ich würde vielleicht eher sagen: ich möchte aufgehoben sein in Gott – und vielleicht etwas ganz Ähnliches damit meinen.

Blaise Pascal, Mathematiker und Philosoph, hat einmal gesagt: Es gibt ein von Gott geschaffenes Vakuum im Herzen eines jeden Menschen, das nur Gott füllen kann.

Die Sehnsucht ist es, die uns dazu bringt, loszugehen. Man könnte auch sagen, unsere Sehnsucht ist der Anfang vom Reden Gottes in unserem Herzen.

Gott kennt auch unsere kleinen und konkreten Sehnsüchte (wie: „ich sehne mich nach einem Germknödel heute nach dem Gottesdienst“ oder „ich sehne mich nach dem Wochenende“). Aber es sind die großen und die unkonkreten Sehnsüchte, die unsere Motivation steigern, auf die Stimme Gottes zu hören – auf den heiligen Geist, auf die innere Stimme, oder wie auch immer man es nennen möchte. „Not lehrt beten“ – oft sind es Krisen, die mich dazu bringen, das innere Ohr zu spitzen.

Ich frage mich, ob es Abraham gut ging in seiner Heimatstadt Ur, als Gottes Ruf kam, ganz plötzlich, und ihn aus einem angenehmen Leben herausriss. Es kann auch ganz anders gewesen sein: Vielleicht hatte er gerade eine Ernte oder einen Haufen Vieh verloren und war frustriert, oder er hatte ständig Stress mit seinen Schwiegereltern. Der Jüngste war er nicht mehr. Aber allmählich wuchs in ihm die Gewissheit: „Ich muss weggehen. Hier sehe ich keine Zukunft für mich. Ja, ich will gehen. Gottes Segen geht mit mir, ich werde es tun!“

Ich weiß nicht: Hat Abraham Gottes Zusage – „Geh los, ich komme mit und mache dich zu einem großen Volk“ – als Donnerstimme vernommen, oder als leises Reden in seinem Herzen?

Mit dem Reden Gottes ist es so eine Sache: Wie spricht Gott? Wie kann ich Gottes Sprechen von den vielen anderen Rufern um mich herum unterscheiden? Und, was noch schwieriger sein dürfte: wie kann ich Gottes Reden und meine eigenen Gedanken und Impulse auseinanderhalten? Kann man das überhaupt?

Ich glaube, dass Gott ungefähr so viele Möglichkeiten hat, zu reden, wie es Menschen mal Sekunden auf der Welt gibt. Also unvorstellbar viele.

In der Bibel ist häufig beschrieben, dass Gott durch Träume redet, mit einer hörbaren Stimme, oder auch durch Boten (Engel). Schön unmissverständlich und oft mit „special effects“ wie in der Geschichte mit dem brennenden Dornbusch, die übrigens auch Abraham passiert ist. Das ist heute selten geworden.

In der christlichen Gemeinschaft, die ich als Jugendlicher erlebt habe, war es üblich, vor großen Entscheidungen Gott nach seinem Willen zu fragen. Eine Möglichkeit, dies zu tun, war, im Gebet still zu werden und auf einen Eindruck vom Heiligen Geist zu warten. – Ein Bekannter von mir wollte gerne wissen, ob es Gottes Wille sei, dass er eine Pfarrstelle in Ludwigshafen annehmen sollte. Mit einigen anderen betete er und war dann still. Anschließend berichtete seine Frau, sie habe nichts Gescheites gehört, aber immer „Halleluja!“ denken müssen. Komisch, meinten ein oder zwei andere, ihnen sei es genauso gegangen. Bis sie dann darauf kamen, dass dies die Antwort sein musste: Das Autokennzeichen von Ludwigshafen ist LU. Und Gott hatte gesagt: Halle-LU-ja! – Mein Bekannter und seine Frau sind dann nach Ludwigshafen gezogen. Es scheint ihnen nicht geschadet zu haben...

Wenn es nur immer so einfach wäre! Das wäre schön! Oder? Ich wüsste immer genau, was Gottes Wille ist – und ich wüsste immer: Jetzt bin ich gerade im Willen Gottes – jetzt außerhalb. Eigentlich müsste ich dann gar nicht mehr selbst nachdenken, nicht versuchen, immer wieder Gottes leise Stimme zu entziffern. Glauben wäre ein Kinderspiel und kein Wagnis mehr. Das Leben mit Gott wäre ein Drei-Sterne-Hotel mit Swimming-Pool und dreimal täglichen Durchsagen des aktuellen Willen Gottes. Es wäre keine beschwerliche Zelttour mehr, wie sie Abraham – trotz der anfänglichen klaren Zusage Gottes – erleben musste. Keine Zweifel. Keine Irrwege.

Aber dieser Nomade Abraham wird uns doch gerade als leuchtendes Beispiel hingestellt!

Auch ich habe früher einige Male um eine persönliche Weisung Gottes für mein Leben gebetet. Man hört ja immer wieder mal Geschichten wie: „... und dann zeigte Gott mit im Gebet: Ich will, dass du für mich nach Südchile in die Mission gehst“. Ich hatte bei diesen Gebeten zwei- oder dreimal den starken Eindruck, dass Gott zu mir sagt: „Räum erst einmal dein Zimmer auf!“ Da ich das bis zum heutigen Tag noch nicht wirklich geschafft habe, wird es wohl noch ein Weilchen dauern, bis Gott seine wirklich großen Pläne mit mir umsetzen kann.  Bis dahin versuche ich eben, den Alltag mit ihm möglichst gut hinzubekommen. Ich bin sozusagen wie Abraham mit dem Zelt unterwegs.

„Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte ...“: Auf der einen Seite steht das große Glaubensziel  – unsere Sehnsucht nach dem Himmel, nach dem Ankommen in Gott oder wie auch immer du es nennst. Auf der andern Seite stehen die vielen kleinen Glaubensschritte, die überhaupt erst den Weg entstehen lassen, unseren Weg, den es vorher noch gar nicht gab. „(8)... und Abraham zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme.“

Damit aus dem Sehnen immer wieder auch ein Gehen wird, braucht es das GLAUBEN. Die Definition von Glauben, die die Bibel nennt, steht ebenfalls im Hebräerbrief, nur ein paar Verse weiter oben: Glaube ist „... eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht“. Das liest sich kompliziert, oder auf gut fränkisch ausgedrückt: Hä??

Ich brauche das Vertrauen, dass die leise Stimme in meinem Hinterkopf recht hat. Ich muss mir vorstellen können, dass etwas Gutes daraus entsteht, wenn ich auf diese leise Stimme höre. Ich muss auch mir selbst halbwegs über den Weg trauen, dass ich überhaupt in der Lage bin, diese Stimme tatsächlich zu hören.

Denn meistens ist es ja keine Donnerstimme. Sie kann ein „Mach dir keine Sorgen, ob Du den Bus erwischst“ sein, oder ein „Jetzt geh schon hin und entschuldige dich bei dem blöden Kerl“. Sie kann ein Impuls sein („hey, wie schön die Sonne scheint!“), aus dem ein Lob zum Himmel steigt, oder ein „Hör jetzt auf zu träumen/beten/... und fang an zu arbeiten!“.

Dabei gibt es keine Garantie, dass ich die Stimme Gottes „richtig“ empfange. Selbst wenn es mir gelingt, meine Gedanken völlig zum Schweigen zu bringen, bin ich immer noch ein Mensch mit ganz eigenen Wünschen und einer ganz eigenen Art, die Welt – und Gott – wahrzunehmen. Gott weiß das (und ich denke, er/sie kalkuliert es in das Reden an mich mit ein). Für einen, den ich kenne, war die Zusage der Bibel „Sorget euch nicht“ der Anlass dafür, sich Gott anzuvertrauen. Eine andere Bekannte von mir sorgt sich rührend und voller Engagement um andere und findet in ihrer Gemeinde reichlich Gelegenheit dazu. Einer sehnt sich nach Frieden in Gott, die andere um ein abenteuerliches Leben mit Gott. Unsere Eigenarten färben unsere Wahrnehmung. Aber sie bieten Gott auch eine ganz eigene Kommunikationsbahn zu uns. Bei unserer konkreten Sehnsucht kann sie uns „packen“.

Es gibt keine Garantie, dass ich die Stimme Gottes „richtig“ empfange. Genauso aber kann niemand mit völliger Sicherheit feststellen, dass Gott zu einem Menschen oder in einer Situation nicht redet.

Der Geist weht, wo er will. Und er ist ganz sicher nicht auf den Kreis der christlich-gläubigen Menschen beschränkt. Auch nicht auf den Kreis der irgendwie religiösen Menschen. Ich denke, nicht mal auf den Kreis der Menschen.

(In der Bibel redet Gott immer wieder durch Fremde, durch Außenseiter: Durch den Pharao. Durch eine Hure. Durch einen Zöllner. Einen Zimmermannssohn... Sogar durch einen Esel! (Bileam) Und ich habe schon manch gute Kurzpredigt von einem Baum oder von einem Berg gehört.)

Gottes Reden lässt sich weder durch besondere Frömmigkeit verstärken noch durch besonderes Fehlverhalten vermindern. Es bleibt unberechenbar. Jesus scheint aber überzeugt davon, dass wir es verstehen können: „Meine Schafe kennen meine Stimme“, sagt er in der Bibel. (In der Natur. In gedruckten Buchstaben. Im Feuer..)

Wenn Gott Boten mit einer Nachricht schickt, haben diese häufig die Gestalt von Menschen. Die Worte oder Taten einer Freundin, eines Freundes, ja sogar eines ganz fremden Menschen können mir zu Gottes Wort werden.

Ich denke auch, dass der Geist Gottes so leise zu meinem und zu jedem anderen Herzen sprechen kann, dass man es gar nicht mitbekommt („Oh, gerade hat Gott geredet, und ich hab’s gehört!“). Auch wenn man eher selten über die Stimme Gottes nachdenkt, muss das noch lange nicht heißen, dass sie nicht zu einem spricht. Auch meine Freunde reden ja nicht immer nur dann, wenn sie gefragt werden!

Gott ist an einer guten Beziehung zu uns Menschen gelegen. Er oder sie ist da, auch montags bis samstags und auch außerhalb expliziter „Gebetszeiten“. Sozusagen undercover immer dabei. Ich kann darauf vertrauen, dass Gott schon bei mir ist und „alles schon seinen Sinn hat“ und fröhlich und im Vertrauen vorangehen.

Kann ich das? Wie kann ich einen möglichst funktionstüchtigen Glauben bekommen, der mich befähigt, die Schritte zu gehen, die meine Sehnsucht und die Stimme Gottes mir weisen?

Leider lässt sich Glauben nicht „machen“. Die eine hat mehr davon, der andere weniger. Es gibt Zeiten in unserem Leben, da strotzen wir vor Glauben, zu anderen Zeiten sind es nur ein paar Körnchen. Ich kann nichts anderes tun, als den Glauben, den ich gerade habe, einzusetzen und zu benutzen für den nächsten Schritt. So funktioniert das GEHEN: Immer nur einen Schritt auf einmal.

Wenn ich mich danach sehne, mehr von Gottes Reden in meinem Leben zu haben, dann kann ich an meinem Hören arbeiten. Ich kann Gott bitten, mein inneres Ohr zu schärfen. Ich kann versuchen, öfters mit dem Reden und Wirken des Geistes Gottes zu rechnen. Ich kann (das ist besonders für unstrukturierte Menschen wie mich gut) Gottes Geist im Tagesablauf regelmäßig Raum und Zeit einräumen – um das Hören zu einer Gewohnheit werden zu lassen.

In der Stille kann ich eigene Vorstellungen vor Gott bringen, kann sie loslassen, kann mich auf Gottes Reden einlassen und zulassen, dass Gedanken und Impulse auftauchen, die vorher nicht da waren. Himmlische Satzfetzen, manchmal kaum in Worte zu fassen, die mein Denken und Fühlen bereichern und verändern.

Abraham war Gott ge-hor-sam und zog los: da steckt das Hören mittendrin.

Es heißt Gehorsam, und nicht „Ge-tu-sam“! Nicht fromme Betriebsamkeit ist es, die uns zum besseren Menschen macht. Gott ist zuallererst an einer Beziehung zu uns interessiert, und da spielen ehrlich sein und zuhören eine zentrale Rolle. Ich glaube, dass das Verbundensein mit Gott – ob bewusst oder unbewusst – der Motor ist für unseren Glauben und für alle Taten, Schritte, Gedanken, ja, auch Fehler, die daraus erwachsen. Es heißt, der Glaube ohne Werke ist tot. Ich denke, genauso sind eigenmächtige fromme Werke ohne diese Verbindung zur Liebe Gottes tot.

Wenn wir Gottes Geist vertrauen, führt er uns hinaus ins Weite. Ins Weite – nicht unbedingt ins Angenehme, Bequeme. Im Losgehen im Vertrauen auf Gott – im Großen wie im Kleinen jeden Tag aufs Neue – verlasse ich vertrautes Gelände. Vielleicht verlasse ich doofes vertrautes Gelände, aber ich verlasse auch sicheres vertrautes Gelände. Was das betrifft, sind wir alle miteinander Zeltreisende: Fremdlinge im verheißenen Land.

(9) Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung.

Wir ringen gemeinsam um das richtige Hören, und um das richtige Tun. Wir lernen noch. Ich habe mich bis heute nicht richtig daran gewöhnt, ein frommer Mensch zu sein. Aber wir haben einen guten Chef, der sehr geduldig ist.

Und schon jetzt fühle ich mich von Zeit zu Zeit – gerade unter Menschen wie euch hier, die auch mit dem Zelt unterwegs sind – als wäre ich schon angekommen in dieser Stadt Gottes. In einer Zeltstadt.

Und der Frieden Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.