Predigt August 2010 (CSD-Gottesdienst)

Predigt für den CSD-Queergottesdienst 8. August 2010 in St. Jakob

Predigt zu Markus 10,17-27 „Der reiche Jüngling“

Prediger 1:

Liebe Gemeinde,

unser heutiger Text ist allgemein bekannt als die Geschichte vom Reichen Jüngling. Jedoch sei bemerkt, dass die drei synoptischen Berichte diesen Mann einheitlich als „reichen Gerechten“ darstellen; Lukas spricht sogar von einem Oberen. Nur Matthäus nennt ihn beiläufig einen „Jüngling“. Im Judentum konnte man Männer bis zu 40 Jahre „Jünglinge“ nennen – was für ein Begeisterungsschrei würde durch die schwule Männerwelt ziehen, wenn auch das dort möglich wäre.

Dieser Mann kommt zu Jesus und kniet vor ihm nieder – eine Geste tiefster Ergebenheit und äußerster Ernsthaftigkeit. Er redet ihn mit „guter Meister“ an. Damit drückt er sowohl seine Ehrfurcht als auch gutes Benehmen aus. Doch Jesus erwidert, dass nur Gott alleine gut ist und weist damit den Mann von sich weg auf Gott hin. „Was muss ich tun, damit ich das ewige Leben bekomme?“ Jesus beantwortet seine Frage mit den Geboten, die sich auf das Verhältnis zu Mitmenschen beziehen. Er ruft sie ihm in Erinnerung: Nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht über andere falsche Aussagen machen. Auch keinem anderen etwas von seinem Eigentum nehmen. Sogar die Eltern ehren, gehört dazu.

Versuchen wir nach Gottes Geboten zu leben? Wenn wir in uns gehen und aufrichtig sind, müssen wir eingestehen, dass auch bei uns nicht immer alles klappt. Manchmal reden wir doch über andere etwas, was nicht ganz als sicher gilt. Nachher stellt sich heraus: Wir haben Unwahres verbreitet. Manchmal nehmen wir es mit dem Eigentum anderer nicht so genau, wenn wir etwas gut gebrauchen können, oder wenn wir Geld sparen wollen. Da wird der Versicherung oder dem Finanzamt nicht die volle Wahrheit mitgeteilt, weil wir Vorteile daraus ziehen.

Der Mann, der Jesus angesprochen hat, ist sich dagegen seiner Sache sicher: „Das habe ich alles von Jugend auf erfüllt.“ Wir sollten an dieser Antwort nicht zu schnell zweifeln. Im jüdischen Volk gab es Gruppen von Menschen, die sich ganz intensiv um die Beachtung der Gebote Gottes kümmerten. Vom frühen Morgen bis zum Schlafengehen war alles durch genaue Regeln festgelegt, um auf keinen Fall Gottes Willen zu verfehlen. (Wir lesen ja auch in der Bibel, wie genau man auf die Einhaltung des Sabbats achtete, die in den Geboten befohlen wurde.) Vielleicht gehörte der fragende Mann zu einer solchen Gruppe und konnte deshalb mit gutem Gewissen sagen: „Das hab ich alles erfüllt.“

Trotz Einhaltung der Gebote fehlt ihm etwas; er verspürt einen Mangel. Von Jesus wird erzählt, dass er den Mann anschaut und liebt, ehe er weiter mit ihm spricht. Vielleicht hat er sein Äußeres betrachtet, vielleicht ihn in die Arme geschlossen. Auf jeden Fall wendet er sich ihm persönlich zu. Das drückt aus: Du bist mir wichtig, ich steh auf deiner Seite!

Jesus stellt fest, was ihm fehlt. Genauer, was er zu viel hat: Besitz, Eigentum. Wenn er sich von diesem loslöst, kann er ungehindert Jesus nachfolgen und das ewige Leben erhalten. Verkauf dein Hab und Gut und gib es den Armen, sagt er zu ihm. Damit mutet Jesus dem Mann unwahrscheinlich viel zu. Seine ganzen Sicherheiten auf Erden aufgeben, um Sicherheit bei Gott zu haben? Er musste sich entscheiden, was ihm wichtiger war: Willst du das ewige Leben auch um den Preis des eigenen Reichtums haben, oder soll es nur eine zusätzliche Sicherung zu allem anderen sein? Im Grunde heißt die Frage: Ist dir Gott wichtiger als alles andere, woran dein Herz hängt? Vertraust du ihm mehr als allem Geld und Gut? „Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon.“ Andere übersetzen: Es fiel ein Schatten über sein Gesicht.

Würden wir nicht genauso handeln? Wir würden sagen: Du verlangst zu viel von uns, Jesus! Da ist uns zu extrem! Übertragen wir diese Geschichte auf unsere queere Szene:

Verspüren wir nicht oft genug deshalb einen Mangel, weil es ein Zuviel gibt? Eine Unzahl von Maßstäben und ungeschriebenen Gesetzen schränken uns unnötig ein: Sei schlank und rank, immer fit. Geh mehrmals in der Woche ins Fitnessstudio. Achte auf deine Frisur und deine Kleidung.

Im Internet sind Chatrooms wie Gayromeo oder Lesarion sicher gute Möglichkeiten Leute kennenzulernen. Aber wie groß ist die Gefahr sich darinnen zu verlieren? Leicht kann es dazu führen, mehr und mehr Zeit – evtl. den Großteil seiner Freizeit – darin zu verbringen. Suchoptionen wie Körpergröße, Gewicht, Haar- und Augenfarbe, ja sogar die Größe von Genitalien lassen es zu, den perfekten Mann oder die perfekte Frau zu ermitteln. Es reduziert sich zunehmend auf Äußerliches; es wird sehr oberflächig. Vielleicht verpasst man gerade die Chance auf menschliche Bindung, weil man solche Plattformen zu ernst nimmt und sich in der realen Welt nicht mehr viel blicken lässt.

Am CSD-Wochenende kommen wir als große vielfältig-bunte Familie zusammen. An den restlichen Tagen im Jahr sieht es oft anders aus. Die Gruppen in der Szene mögen sich nur zu gerne voneinander abgrenzen: Ihre Weiblichkeit betonende Lesben gegen burschikose Lesben mit Kurzhaarfrisur, Tucken gegen Machos, Top-Gestylte gegen Lässig-Angezogene. Und werden Bisexuelle und Transsexuelle als gleichwertige Mitglieder unserer Community angesehen?

Wie ungnädig gehen wir doch mit unseren Schwestern und Brüdern um. Wie hart sind unsere Urteile. „Akzeptanz – und wir?“ ist das Motto des diesjährigen CSDs. Wie wir von unseren heterosexuellen Mitmenschen verlangen, auch uns als geliebte Kinder Gottes zu betrachten, müssen wir das gleiche mit den Menschen in unseren Szenen tun und danach handeln. Indem Jesus die Gebote aufzählt, die das Zwischenmenschliche regeln, verlangt er Nächstenliebe, statt die Befolgung menschlicher Satzungen. Es wird außerdem das erste Gebot aufgerichtet: „Ich bin dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Vom reichen Jüngling verlangt er, sich von seinem Besitz zu trennen. Nicht Geld und Gut soll gehuldigt werden, sondern alleine Gott. So fordert auch Jesus von uns, dass wir nicht Götzen in unserer Community anbeten; ein Loslassen von unseren engen Maßstäben, so dass wir auf Gott alleine vertrauen.

Prediger 2:

Ein Schüler fragte seinen Rabbi: Meister, worin besteht der Sinn im queeren Leben? Der Meister überlegte kurz und sagte: „ich sammle Schätze für das ewige Leben.“

Was würden wir auf diese Frage antworten? Für viele von uns die im Überfluss leben. Wie erklären wir uns und anderen den Sinn queeren Lebens?

Wir haben zwischenzeitlich viel erreicht, wie wir unser eigenes queeres Leben gestalten. Wir leben mehr oder weniger offen queer, haben uns

eingerichtet in unserer Gesellschaft wie in der jeweiligen Scene und leben ganz gut mit unserem Anders-Sein. Von zeit zu zeit geniesen wir die verschiedenen queeren Subkulturen, der eine/ die andere mehr oder weniger und haben uns damit abgefunden, dass wir eben nicht „mit vierzig gescheit“ werden, auch wenn einige von uns ein Haus gebaut, einen Baum gepflanzt und ein oder mehrere Kinder gezeugt haben. Aber ist das alles? Was macht gutes queeres Leben aus, was belastbar genug ist, um unseren Alltag zu bestehen und nicht nur zu überstehen?

Sammle Schätze für das ewige Leben, sagte der Meister zu dem Schüler.

Wie sooft brechen wir den Stab über die Anderen und teilen uns selbst in die guten und schlechten Queers ein. Vielleicht brauchen wir alle irgendwelche Schubladen, um unser Leben leben zu können. Aber wollten wir in unserem Coming Out nicht ausbrechen aus der bürgerlichen Enge; leben aber aktuell so, als wenn wir die „bürgerliche, heterosexuelle Elite“ in unserer Gesellschaft bürgerlich überholen? Haben wir nicht einmal CSD gefeiert, um unsere eigene Lebensweise in der Gesellschaft zu zeigen? Hoffentlich wissen wir alle, dass uns das Erreichte in Politik und Gesellschaft auch wieder genommen werden kann.

Meister, sag mir, was muss ich tun, um gut Queer leben kann? Sammle Schätze für das ewige Leben, sagte der Meister zu dem Schüler.

In Jesus Augen ist derjenige, der sein Leben an Reichtum, Macht, Besitz, Gewinn, Erfolg, Ansehen ausgerichtet hat, ein Narr. Ein Narr ist der, der meint, dass vor jeder Zahl ein Plus zu stehen hat. Einerseits die Zahl unserer ONS in einer Woche (möglichst muss in einer Woche noch einer hinzuwachsen“), andererseits wie lange unsere jeweiligen Beziehungen bereits andauern – auch hier zählen wir eher die Quantität als die Qualität unserer Beziehung. Und manch einer gibt zu, dass seine Beziehung zum Zeitpunkt der entgültigen Trennung schon seit längerem „zerrüttet“ war. Auch in den Scenen ist es „heterolike“ möglichst viele Jahre mit seinem Freund in Beziehung zu leben. Die Qualität scheint da keine Rolle zu spielen, im Übrigen gut katholisch ausgedrückt: „man muss nicht über alles reden...“

Aber geht es hier um eine rein quantitative Betrachtung, ein Wachstum, wo am Ende immer ein Plus steht. Letztlich ist es unsere Lebensentscheidung, zwischen dem mehr oder weniger Haben und dem mehr oder weniger Sein zu entscheiden. Manchmal scheint uns die Spur oder vielmehr das Ziel nach gutem queeren Leben verloren gegangen zu sein.

Meister, sag mir, was muss ich tun, um gut Queer leben kann? Sammle Schätze für das ewige Leben, sagte der Meister zu dem Schüler.

Haben wir nicht besondere Begabungen, Talente?

Wie gehen wir damit um? Arbeiten wir damit oder verstecken wir diese lieber aus Angst, wir könnten ja mit diesen besonderen Begabungen auffallen? Oder halten wir uns für minderbegabt? Weil wir eben nicht „mit Vierzig gescheit werden“ und das Haus, den Baum und das Kind gezeugt haben, der oder unserer Gesellschaft vorweisen können? Ich erinnere auch an die Werbung, die uns das Haus, das Boot und das eigene Pferd verspricht...

Entdecken wir also selbst unsere Begabungen und Fähigkeiten, die uns von anderen zugesprochen werden, die andere an uns erkennen oder sagen wir manchmal zu schnell, wir seien zu jung oder zu alt oder was auch immer?

Eine unserer Begabungen ist doch, dass wir sensibel sind für – nicht nur – sprachliche und verbale Diskriminierungen aufgrund des Geschlechtes oder der Partnerwahl.

Erkennen wir das als Begabung an und wenden wir sie gewinnbringend für unsere Gesellschaft an?

Achten wir noch auf die alltäglichen kleinen und großen Diskriminierungen?

Das ist ja nicht nur ein Phänomen der Hetero-Welt, sondern auch in den verschiedenen Scenen und Subkulturen in unserer eigenen Queeren Welt, in der wir uns alle irgendwie bewegen. Ich will gar nicht daran denken oder gar errinnern, wie frauenfeindlich inbes. die „schwule Welt“ sein kann und beschämt muss ich bekennen, dass ich nicht nur dagegen aufbegehre, sondern zu gern auch mitmache. Wieviel Maßstäbe setzen wir in unseren Scenen uns selbst und grenzen damit uns selber irgendwie wieder voneinander aus, anstatt uns näher zu kommen, voneinander zu lernen und uns in unserem jeweiligen Coming Out immer wieder weiterzuentwickeln, denn unser Coming Out ist nie abgeschlossen, vielmehr ist es ein Prozess der ständigen Weiterentwicklung, wie wir auch im Alter von 70 oder 80 Jahren noch selbstbewusst queer leben können.

Derzeit erleben wir die ersten älteren Queers, die sich auf darauf vorbereiten, wie und wo sie im Alter leben möchten. Auf alle Fälle nicht in einem heteroorientierten Alten- und Pflegeheim, wo man sich über die nicht vorhandenen Enkel unterhält.

Wir merken oftmals zuletzt, wie angepasst und heterolike wir uns verhalten.

Meister, sag mir, was muss ich tun, um gut Queer leben kann? Sammle Schätze für das ewige Leben, sagte der Meister zu dem Schüler.

Die meisten von uns hier haben ihr Coming Out (ihr Äußeres wie auch Inneres) als Befreiung erlebt. Befreiung von einem Zwang, so zu sein, wie die „normale“ Welt, so zu sein, wie man/frau eben nicht ist. Befreiung von Rollenerwartungen, die man/frau eben nicht erfüllen kann, die man nicht erfüllen will. Wenn ich mich aber in den queeren Scenen umschaue (und die die mich kennen, wissen das ich viel in der Weltgeschichte umhergondele), entdecke ich doch eine andere Angepasstheit an neue Rollenerwartungen

Wir wollen unbedingt dazugehören: erst in unseren Scenen und Subkulturen und dann auch wieder in der sogenannten „normalen“ Welt. Da wollen wir dann scheinbar beweisen, dass wir gar nicht so unnormal sind, wie uns die Gesellschaft hält. Warum entdecken wir unsere Unanpasstheit aus dem Coming Out nicht als Begabung, mit der wir für eine menschlichere Welt arbeiten können? Befreien wir uns doch von Rollenerwartungen und -cliches in den Scenen und seien doch mal ganz bewusst anders als die Anderen.

Meister, sag mir, was muss ich tun, um gut Queer leben kann? Sammle Schätze für das ewige Leben, sagte der Meister zu dem Schüler.

Und warum entdecken wir unsere sexuellen Obsessionen nicht als Begabungen?

Hanspeter Hausschild, ein schwuler Theologe, den viele HuKler wahrscheinlich noch kennen, deutete die Promiskuität einmal als Zeichen und Gleichnis für die Universalität der Liebe der Ewigen, der sich ja auch nicht bei seiner Liebe auf Einen oder Eine beschränkt, sondern schlicht A L L E liebt. Ich glaube, dass diese Deutung hier auf  sehr viel Widerstand stoßen wird, aber gerade ein CSD sollte und muss auch einmal die verschiedenen Lebensstile polarisierend nebeneinander stellen können und auch mal den Finger in die Wunden legen und uns allen auch mal den oder Spiegel vor unser eigenes Gesicht halten, wie ausgrenzend wir doch so oft sind und wie ernst uns „CSD“ im buchstäblichen Sinn des Wortes ist.

Ich freue mich schon darauf, wenn gerade das Zitat des leider viel zu früh verstorbenen Hanspeter Hausschild hier in Nürnberg und hier in unserer regelmäßigen Gottesdienstgemeinde für eine befruchtete Diskussion sorgen wird. Aber nocheinmal: warum deuten wir unser Sex-Leben nicht auch mal theologisch? Was könnte dies für Konsequenzen haben, für die Scene, für die Gesellschaft, für unser eigenes queeres Leben. Am Beispiel: Ich glaube, dass Hanspeter Hausschild seine Partner nicht nur als Lustobjekte betrachtet hat, sondern vielmehr auch als gegenüber. Und dann geht es nicht mehr um die Frage, wie und wo und mit wem wir unsere Sexualtät leben.

Was ich sagen will? Seien wir doch einwenig phantasievoller und entdeckungsfreudiger mit unseren Begabungen, Lebensgeschichten und Wünsche und spielen wir nicht weiter die Spielchen mit, wenn unsere unterschiedlichsten -auch sexuellen- Begabungen in Schubladen einsortiert werden, die viel zu eng oder zwischenzeitlich zu eng geworden sind. Ich denke hier gerade auch an die engen Schubladen in unseren eigenen Subkulturen. Coming Out – ein ständiger lebenslanger Prozess hat doch was mit Weite und Befreiung aus engen Strukturen zu tun – auch aus den engen Systemen unserer Subkulturen, die oftmals so schmerzlich ausgrenzen oder?

Meister, sag mir, was muss ich tun, um gut Queer leben kann? Sammle Schätze für das ewige Leben, sagte der Meister zu dem Schüler.

Die vielen queeren Lebensgeschichten lasst uns nun in die Hände des guten Gottes legen und Tischgemeinschaft feiern. Lasst uns darauf vertrauen, dass unser queeres Leben von Gott gewollt ist und gelingen kann und fruchtbringen wird. Und lassen wir uns nicht durch  enge Schubladen einengen und unsere Subkulturen in gute und nicht so ganz gewollte Subkulturen einteilen. Unsere christliche Lebenshoffnung, von der wir täglich auch queer leben, ist immer größer als unsere kleine eigene Welt es manchmal wahrhaben will, denn bei Gott ist nichts unmöglich. Nicht leben wie die vielen schwulen, lesbischen, trangenter Prinzen, sondern vielmehr königlich leben wie Könige, mit der Weite im Herzen, so dass die Welt uns erkennt und uns in unseren jeweiligen Lebensstilen und Lebensweisen sieht.

Und Gottes Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und unsere Gedanken in der Gemeinschaft mit Jesus Christus! Amen.

Amen