Predigt Februar 2011

Queergottesdienst am 20. Februar 2011

Thema: Berufung zum queeren Leben

Lesung: Mt 9,9–13 Bibel in gerechter Sprache

Predigt

Was war das für eine illustre Gesellschaft, in der Jesus da verkehrte?
Was waren das für Leute, über die sich die angeblich rechtschaffenden Pharisäer so aufregen konnten?

Vielleicht nehmen wir uns die Kunst zu Hilfe. Nehmen wir doch das berühmte Bild des „Letzten Abendmahl“s von Leonardo DaVinci, vielfach abgekupfert bzw. als Vorlage verwendet.

Das sitzen sie also die Heiligen am Tisch des Herrn, fein gekleidet, gepflegter Haarschnitt, der Heiligenschein ist nicht zu übersehen. Sie sitzen eng beeinander und lauschen auf das Wort des Herrn. Ein schönes Bild.

Und wie war es wirklich?

Das Matthäusevangelium ist ca. 80 nach Christus entstanden. Aus dieser Zeit berichtet das Neue Testament, dass die ersten Christen besonders durch ihren Zusammenhalt und ihre Fürsorge auch für Arme und Kranke auffielen.

Vom Bischof Calixtus I. von Rom aus dem 3. Jahrhundert ist bekannt, dass er selbst reuige Mörder, Ehebrecher und Unzucht Treibende an der heiligen Kommunion teilnehmen ließ.

Freie reiche christliche Frauen durften auch Sklaven heiraten. Da wurde bei den Christen keine Unterschied gemacht.

D.h. zumindest in den ersten Jahrhunderten des Christentums hielt man sich an das sehr wahrscheinlich von Jesus stammende Vorbild. Das Christentum war eine „queere“ Religion in dem Sinne, dass die Christen gesellschaftliche Grenzen sprengten. Bei den Christen gab es Arme und Reiche und die konnten zusammen an einem Tisch sitzen.

Auf dem Bild des Letzten Abendmahls dürften also nicht nur geschniegelte Saubermänner abgebildet sein. Nein, vielmehr müssen wir uns auf dem Bild Jesu zum Beispiel vorstellen:

- den HarzIV-Empfänger neben dem reichen Steuerhinterzieher

- eine alte gebrechliche Frau neben einem jugendlichen Aussteiger aus der Bahnhofsunterführung

- den spießigen Schlaumeier Erwin Pelzig neben dem geistig behinderten im Rollstuhl…

Und bevor ich hier noch mehr Klischees öffne, geht die Frage an euch, an dich:

Welche Menschen aus deinem Umfeld müssten bei dir am Tisch sitzen, wenn Jesus bei dir zu Besuch wäre? Welche Menschen würde Jesus mitbringen, die du nie einladen würdest?

Setze doch einmal dein ganz persönliches Letztes-Abendmahlsbild zusammen! (Pause)

Ich gebe zu, es ist schwer, die Grenzen zu sprengen und auch Leute einzuladen, die nicht zu den eigenen Kreisen gehören. Reiche gruppieren sich mit Reichen, Intellektuelle mit Intellektuellen, Kranke mit Kranken, sozial schwach mit Ebensolchen.

Es stärkt die Identität, das Selbstbild, sich mit Seinesgleichen zu umgeben. Dann kann ich sagen: Ich bin wie die. Die passen zu mir. Das ist mein Rudel. Da gehöre ich hin.

Das Gleiche schenkt Heimat, das Fremde befremdet.

Und warum lästern Menschen so gerne?

Auch das dient unter anderem der Ich-Stärkung. Wer über andere lacht und spottet, fühlt sich selbst besser. So wie der Pharisäer im Tempel, von dem Jesus berichtet: Ach Gott wie bin ich froh, dass ich nicht bin, wie der, der da hinten steht.

Aber:

Haben wir das nötig, wenn Gott uns liebt?

Müssen wir andere schlecht machen, die Gott genauso liebt?

Genau den, den du nicht magst, über den du dich lustig machst, den du furchtbar findest,

den liebt Gott!

Das ist keine einfache Vorstellung.

Und doch lädt Jesus uns immer wieder ein, genau danach zu handeln.

Amen.

Konkreter Schritt:

Da es beim Kirchenschlaf am Sonntag so einfach ist, von einer besseren Welt zu träumen, aber am Montag der Alltag doch wieder der gleiche ist, möchten wir euch jetzt durch einige  Überlegungen einladen, die guten Gedanken der Predigt in euren Alltag zu übertragen.

Über wen hast du das letzte Mal gespottet und herablassend gesprochen?

Was könntest du tun, um auf ihn oder sie wohlwollend zu zu gehen?

Welche gesellschaftlichen Grüppchen oder Gruppen gibt es in deiner Umgebung?

Was könntest du tun, um diese Grenzen aufzubrechen?

Wer wartet darauf, dass du Kontakt zu ihm oder ihr aufnimmt, nur du tust es nicht, weil er oder sie nicht zu deiner Vorstellung von Freunden passen?

Überlege dir einen ganz konkreten Schritt, wie du in der nächsten Woche einmal deine Schubladen und Grenzen überwinden kannst. Jesus hat es uns vorgemacht.

Wir hören, während wir noch überlegen, meditative Musik.

Amen