Predigt September 2016

Queergottesdienst am 18. September 2016 in St. Johannis

 

Predigt zu Matthäus 18,1-6.10

 

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

 

Liebe Queergemeinde,

 

was die Jünger umtreibt und Jesus fragen, ist ja typisch menschlich. Im Markus-Evangelium (Mk 9,33-34), das dieses Ereignis auch behandelt, wird berichtet, dass Jesus und seine Anhänger auf den Weg nach Kapernaum waren. Dort angekommen fragte er seine Jünger, was sie denn unterwegs untereinander besprochen haben. Diese schwiegen aber, denn sie hatten auf dem Weg miteinander verhandelt, wer der Größte sei. Sie kamen in Verlegenheit, weil Jesus die Diskussion mitbekommen hatte.

 

Auch uns wäre es peinlich, wenn der Chef solche Gespräche hört. Solche Unterredungen haben ja ihre ganz eigenen Regeln, wie es das Anspiel zwischen Christof und Helmut verdeutlicht hat: Da wird eine höher bewertete Stelle in der Abteilung frei und man spekuliert wer diese bekommen könnte. Es wird zunächst gefragt, wer am besten dafür qualifiziert ist. Nicht weil man wirklich glaubt, dass das eine Rolle spielt – Personalgeschäft ist ein dreckiges Geschäft – das wissen die beiden, es hört sich einfach nur gut an. Am Anfang die eigene Person nicht nennen. Das gilt als egoistisch, zu sehr von sich selbst überzeugt sein, also taktisch unklug. Man nennt zunächst andere Kollegen. Hier, zwei die in einem Projekt arbeiten und sich damit hervorheben. Dann wird ein Gerücht wiedergegeben wonach ein anderer Kollege den Vorzug bekommt. Empört sind sich die zwei Gesprächspartner einig, dass der der Letzte ist, den sie für die Stelle geeignet halten. Und dann kommt das Hinlenken auf die eigene Person: Sie beide sind die hart Arbeitenden in ihrer Abteilung, bereit Überstunden zu machen, damit der Chef immer zufrieden ist. Vielleicht sind sie auch nur länger im Büro, um Eindruck zu schinden ohne dass wirklich Arbeit dahinter steckt. Auf jeden Fall gönnen sie sich beide den Job. Na klar, man kann ja auch nicht offen sagen, dass man nur sich selbst als den Qualifiziertesten, Besten und Größten hält.

 

Und so sieht man jetzt und so sieht man vor 2000 Jahren den Konkurrenzkampf der Menschen in einer sozialen Gruppe: Unter Arbeitskollegen oder in der Gemeinde Jesu. Schauen wir uns den Text des vorgelesenen Matthäus-Evangeliums wieder an: „Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich?“ Diese Frage impliziert schon, dass die Jünger glauben gute Werke tun und zeigen zu müssen. Das ist ein pharisäisches Denken und Handeln, welches Jesu ablehnt. Es gibt kein Plus- und Minuskonto der Menschen bei Gott wie sich das die jüdischen Schriftgelehrten zur damaligen Zeit vorgestellt haben. Jesus reagiert auf die Frage seiner Anhänger gewohnt untypisch: Er nimmt ein Kind zu sich und stellt es in ihre Mitte und spricht: „Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich. Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf.“ Jesus stellt ein Kind, welches damals eine sehr niedrige gesellschaftliche Stellung und keine Rechte hatte, in den Mittelpunkt der Jünger; Markus berichtet auch, dass er das Kind herzt. Das Kind macht er zum Gegenstand seiner Darlegung, aber nicht, indem er es als Bild des demütigen Jüngers vorstellt, sondern als den Typus eines schwachen, abhängigen und nicht berechnenden Geschöpfes. Er schenkt den Kindern sein besonderes Interesse und will sie den Seinigen ganz besonders empfohlen wissen. Wer auf seinen Sinn eingeht und sie als solche aufnimmt, der nimmt ihn selbst auf.

Wichtig ist hier das kindliche Wesen: Das Kind steht für Unbedarftheit, Leichtigkeit, nicht berechnend und ohne Hintergedanken seiend. Das Kind lässt sich leicht begeistern, nicht der Erwachsene. Der Erwachsene überlegt, wägt ab, wie kommt das an? Jesus will seine Jünger und uns als Gemeinschaft Christi überzeugen das zu überwinden. Er will, dass wir wie ein Kind bedingungslos an Gott glauben. Wir stellen keine Fragen nach dem Nutzen, der Mühe und der Außenwirkung. Indem wir das Kind in unserem Glauben wiederentdecken, werden wir Gott sehen. Wir kennen das Kinderevangelium (Mk 10,13-16), in dem das Volk Kinder zu Jesus brachte, um sie zu segnen. Die Jünger wollten sie aber brüsk verscheuchen. Jesus wurde böse als er das sah und sprach zu ihnen: „Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“

 

Nicht nur Abhängigkeit und Schwachheit sind den Kindern eigentümlich, sondern Kinder sind zunächst bereit, ihren Eltern oder anderen Erwachsenen uneingeschränkt zu vertrauen. Gerade dieses Vertrauen befähigt sie, sich beschenken zu lassen, ohne sich zu einer Gegenleistung verpflichtet zu fühlen. Das müssen die Jünger von Kindern lernen: Sich von Gott mit seiner Liebe beschenken zu lassen, wie sie in Jesus Christus zu uns kommt, und in der Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit, frei von Leistungsdenken, in der Abhängigkeit von Gott zu leben, das führt zur Teilhabe am Reich Gottes.

 

Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Abfall verführt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinem Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist.“ Das ist harter Tobak, an der Stelle merken wir, dass es Jesu todernst mit dem Schutz der Kinder und ihrem Glauben an ihm ist. Man erkennt es als eine eindringliche Warnung an die Erwachsenen, die Kinder nicht zu verderben, sie nicht zum Abfallen von Gott hinzuführen, aber es steckt mehr dahinter: Jesu Anschauungsunterricht will am Kinde nicht das Alter, sondern die innere Haltung wesentlich zur Darstellung bringen. Unter „Kind“ oder „Kindlein“ dürfen wir darum nicht nur „wirklich kleine Kinder“ verstehen, sondern auch solche, die in ihrem Glaubensleben noch Anfänger sind, d. h. „Kinder im Glauben“ darstellen. Jesus sieht die Gefahr. An diesen Anfängern im Glaubensleben könnte großes Unrecht geschehen. Sie könnten innerlich zu Schaden kommen durch die „Erwachsenen“ im Glaubensleben. Jesus will darum um jeden Preis, dass alles gemieden und ferngehalten wird, was Gott widerspricht und zum Anstoß werden könnte bei den Anfängern.

Für „Anfänger“ könnten wir weiter auch noch sagen: „Die Unbedeutenden, Kleinen und Schwachen im Reiche Gottes“. Die Gefahr des „Anstoßgebens“ oder „zum Abfall verführen“ nach der Lutherbibel ist riesengroß. Für „Anstoß“ steht im Griechischen „skandalon“ und bedeutet Skandal. Dieses Wort, das im Deutschen weder durch Ärgernis, noch durch Anstoß, Verführung oder Verderben ganz übersetzt werden kann, bezeichnet offenbar den wundesten Punkt der Gemeinde. Jedes Mal, wenn er berührt wird, schmerzt und empört es Jesus. Skandalon ist das Hindernis, das sich einem in den Weg wirft, so dass man darüber stolpert oder dadurch von der rechten Richtung abgelenkt wird und in das Verderben fällt. Man kann also den Anfängern im Glauben, den Kleinen, sehr leicht durch Lieblosigkeit, Rücksichtslosigkeit, böses Beispiel, Hochmut, Nichtbeachtung, Kühle und Kälte im Benehmen, falschen Eifer einen Anstoß geben, so dass sie irre werden und den Glauben wieder verlieren. Man kann ihnen also leicht einen Stein in den Glaubensweg legen, über den sie stolpern, fallen und verderben.

 

Wichtiger als diese Erkenntnis ist die Liebe, welche bedacht ist, niemanden an seiner Seele zu schaden. Jesus liegen die „Kleinen“ wahrhaftig sehr am Herzen. In der Welt werden sie übersehen und geringschätzig behandelt. Im Reich Gottes gelten sie etwas, ja der Heiland und alle, die seinen Sinn haben, lassen solchen besondere Rücksicht und schonende Sorgfalt zuteilwerden. Das ist natürlich auch auf alte, kranke und schwache Menschen übertragbar, für die die Kirche Christi eintritt.

 

Seht zu, dass ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.“ Das ist ein schönes und bekanntes Bild: Kinder haben Engel im Himmel, die auf sie aufpassen. Gott selbst müht sich durch seine Cherubinen um diese kleinen Geschöpfe. Oft werden Kinder als engelsgleich beschrieben, zumindest wenn sie sich brav verhalten. Aber es geht auch hier nicht nur um „wirklich kleine Kinder“ im eigentlichen Sinne: Gott selbst überträgt die Sorge für die Kleinen und Schwachen und Anfänger im Glauben nicht nur seiner Gemeinde auf Erden, sondern auch seinen hohen und himmlischen Engelscharen. Ungesehen und doch machtvoll leiten diese hohen und erhabenen Geister des Himmels das Leben der Kleinen.

Für dieses Amt ist Gottes Ohr stets wach. Es ist ein wunderbarer Blick in den Himmel, den uns Jesus damit erschließt, indem er uns die hohen, heiligen Engel Gottes, die vor seinem Thron stehen und in seine Herrlichkeit hineinblicken, zugleich mit den kleinen Gliedern unserer menschlichen Gemeinschaft verbunden zeigt. Gottes Auge sieht stets mit hellem Blick der Liebe auch das kleinste Menschenkind. Das sagte Jesus auch seinen Jüngern zum Trost und zur Erweckung ihres freudigen Glaubens. Sie dürfen auch für sich dessen gewiss sein, dass sie für die Sorgen ihrer Liebe, die sich um die Kleinen müht, stets den offenen Zugang zu Gott haben. Solcher Dienst gibt das Eintrittsrecht zu Gottes Thron.

Wir lernen durch dieses Wort auch etwas von der Seligkeit Jesu verstehen! Seine Arbeit auf Erden war ein Dienst am Kleinen. Das hat ihn aber nicht aus der Gemeinschaft mit dem Vater herabgeführt. Vielmehr eben als Diener der Kleinen sieht auch er das Angesicht seines Vaters jederzeit.

 

Jesus verlangt von uns, dass wir uns erniedrigen, also hinab begeben auf die Ebene eines Kindes, aber nicht nur, sondern auch auf die von Kranken, Schwachen, Armen und Anfängern im Glauben. Damit steht die Gemeinde Jesu mit ihren Maßstäben im Gegensatz zur Welt. Der unerlöste Mensch strebt nach Besitz, Macht und Ansehen, um andere zu überflügeln und zu beherrschen. Das Gesetz des Reiches Gottes dagegen ist, dass alle herabsteigen in die Armut und Schwachheit, um reich zu werden in ihm. Und gerade an der Macht dieses Herabsteigens soll man die Größe des Menschen im Reich Gottes messen. Daher müssen wir immer wieder umkehren von unseren Irrwegen und den Kindern gleichwerden.

 

Zum Abschluss Worte des Apostels Paulus an die Gemeinde in Philippi (Phil 2,3-11): Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem anderen dienst. Seid so unter einander gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen alle Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters. Amen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

 

Predigt Juni 2016

Queergottesdienst am 19. Juni 2016 in St. Johannis

 

1. Hinführung zum Thema: Liebe und Ehe im Wandel

 

Diesen Monat vor einem Jahr entschied der Oberste Gerichtshof der USA in einem historischen Grundsatzurteil, dass die gleichgeschlechtliche Ehe verfassungsgemäß ist.* Richter Anthony Kennedy begründet, warum die Ehe zwischen zwei Männern und zwei Frauen zulässig und anzuerkennen ist. Ich zitiere Passagen daraus:

 

Die Geschichte der Ehe ist sowohl eine von Beständigkeit als auch von Wandel. Die Institution – wenn jedoch begrenzt auf andersgeschlechtliche Beziehungen – hat sich über die Zeit entwickelt. Zum Beispiel wurde die Ehe einst als ein Arrangement der Eltern des Paares angesehen auf Grundlage von politischen, religiösen und finanziellen Belangen; aber zur Zeit der Gründung der […] USA wurde es verstanden als ein freiwilliger Vertrag zwischen einen Mann und einer Frau.“

Die Mehrheitsmeinung führt weiter den Wandel der Rolle der Frau in Ehe und Gesellschaft aus, die zusammen mit anderen nicht oberflächlichen Änderungen zu einer tiefen Wandlung der Ehe in ihrer Struktur führte.

Diese neuen Einsichten haben die Institution der Ehe gestärkt, nicht geschwächt. In der Tat ist ein gewandeltes Verständnis der Ehe charakteristisch für eine Nation, in der neue Maße von Freiheit neuen Generationen offenkundig werden oft durch Perspektiven, die in Appellen oder Protesten beginnen und dann im politischen Bereich und im juristischen Prozess betrachtet werden. Diese Dynamik kann man in den Erfahrungen der Nation mit den Rechten von Schwulen und Lesben sehen.“

Das Gericht führt die Verdammung und Bestrafung von homosexuellen Handlungen an, die Verweigerung ihrer Würde für ihre eigene Identität, den Rückzug ins Verborgene und die vielfältigen Diskriminierungen. Die letzten Jahre und Jahrzehnte brachten einen Wandel der Ansichten über Homosexuelle und den Umgang im ihnen in der Gesellschaft sowie im Recht und Gesetz. Richter Kennedy schließt mit pathetischen Worten und weist den Vorwurf der Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe zurück, diese würde die Bedeutung der Ehe herabmindern.

Kein Bund ist tiefgründiger als die Ehe. Er vereint in sich die höchsten Ideale der Liebe, Treue, Hingabe, Aufopferung und Familie. Indem sie die Ehe eingehen, werden zwei Menschen zu etwas Größerem als zuvor. Wie manche Kläger uns zeigen, verkörpert die Ehe eine Liebe, die so groß ist, dass sie sogar den Tod überdauert. Anzunehmen, dass diese Männer und Frauen die Idee der Ehe nicht respektieren, würde ihnen nicht gerecht. Sie respektieren sie, sie respektieren sie so sehr, dass sie diese Erfüllung für sich selbst wünschen. Ihre Hoffnung ist, dass sie nicht dazu verdammt sind, in Einsamkeit zu leben, ausgeschlossen von einer der ältesten Institutionen der Zivilisation. Sie erbitten sich die gleiche Würde vor dem Gesetz. Die Verfassung garantiert ihnen dieses Recht. So wird es angeordnet.“

 

Wir singen aus dem großen Gesangbuch das Lied Nr. 401, die Strophen 1-3+7 „Liebe, die du mich zum Bilde“.

 

* Obergefell v. Hodges No. 14–556, Urteil des Obersten Gerichtshofes der USA vom 26.06.2015

 

2. Predigt zu Hoheslied 8,6-7 „Liebe stark wie der Tod“

 

Gnade sei mit uns und Friede von dem der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

 

Der heutige Predigttext hat gerade mal zwei Verse und sagt doch unwahrscheinlich viel aus über die Liebe zwischen Mensch und Mensch und zwischen Gott und Mensch. Das Hohelied, das nach der Überlieferung König Salomo zugeschrieben wird, hat das Vorbereitungsteam als ein Sinnbild wahrgenommen und die allegorische Auslegung hat tatsächlich eine lange Tradition: Die Liebe Gottes zu seinem Volk wird dargestellt unter dem Bild der Liebe zwischen zwei Menschen, damals natürlich nur zwischen einer Frau und einem Mann. Wir haben hier wohlgemerkt immer zwei Sichtweisen: Die Menschliche Liebe und die Liebe Gottes.

 

Bleiben wir zunächst bei der ersten. Die Liebe ist stark wie der Tod. Das bedeutet Liebe ist genauso stark, also ebenbürtig, wie der Tod. Beiden werden gleiche Kraft zugeschrieben. Die Liebe zu einem Menschen kann über dessen Tod hinaus bestehen bleiben. Eine Verbundenheit die hoch emotional ist und zu einem Problem werden kann, wenn man nach dem Tod des anderen keinen Weg findet mit ihr einen neuen Lebensabschnitt zu beschreiten. „Leidenschaft ist unwiderstehlich wie das Totenreich“ wird in einer anderen Übersetzung wie folgt überliefert: „Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt.“

 

Mit dichterischer Kraft beschreibt der Verfasser die Liebe wie folgt: „Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, so dass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können.“ Die Liebe entsteht und bleibt bestehen durch Zuneigung, Leidenschaft und Emotionen. Sie kann nicht zwangsweise von außen aufgebaut oder zerstört werden. Seien es arrangierte Ehen, wie wir sie früher in unserem Kulturkreis hatten und jetzt noch in anderen Gesellschaften vorfinden oder standesgemäße Vermählungen. Durch gesellschaftlichen Wandel hat sich Gott sei Dank viel geändert. Sehr lange Zeit wurden keine Verbindungen zwischen Arm und Reich, adelig und bürgerlich oder Anhängern unterschiedlicher Religionen geduldet. Gemischtrassige Ehen und homosexuelle Liebe waren auch in westlichen Ländern verboten. Hier bedurfte es Aufrufen, Kampagnen und Demonstrationen, also die Arbeit der Schwulen- und Lesbenbewegung, Klagen und gesetzlichen Änderungen, damit auch Randgruppen wie wir Fortschritte verzeichnen konnten. Eine völlige Gleichstellung mit der heterosexuellen Ehe ist in Deutschland bekanntlich noch nicht erreicht. Auch bei Angehörigen verfeindeter Völker, wie Juden und Palästinenser, oder verfehdeter Familien, zum Beispiel Romeo und Julia, ist es nur mit vielen Hindernissen möglich den Bund der Ehe eingehen zu können. Genau an so einem Beispiel zeigt sich doch deutlich, dass die Liebe keinen Halt vor Nationalität, Ethnie, Religion, Geschlecht, gesellschaftlicher Schicht, Alter und so vielem mehr macht und sich zwei Menschen trotz aller Widerstände sich verlieben, lieben und zusammenbleiben wollen. Hier zeigt sich wie stark Liebe ist.

 

Ich will zur besseren Einordnung natürlich nicht unterschlagen, dass Menschen als Paar auch ohne Trauschein und Verpartnerungsurkunde zusammenleben ohne dass diese Verbindung emotional irgendeiner Weise dem Ehestand ungleich ist. Sie verzichten mehr oder weniger bewusst auf diesen „Verwaltungsakt“ im Standesamt, warten auf den richtigen Moment oder brauchen einfach lange Zeit. Letzten Monat heirateten zwei Freunde von mir nachdem sie bereits zehn Jahre zusammen waren.

 

Der letzte Vers unseres Textes:

Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so könnte das alles nicht genügen.“ Liebe kann man nicht erzwingen, man kann sie nicht erkaufen. Man kann einen Menschen nicht zwingen sich in einen anderen bestimmten Menschen zu verlieben. Dafür ist die Liebe wohl zu zufällig und in vieler Weise unerklärbar. Die freie Auswahl der Partnerin bzw. des Partners mit dem Wegfall von arrangierten Ehen und gewissen gesellschaftlichen Konventionen hat die Institution der Ehe tatsächlich gestärkt wie Richter Kennedy feststellt. Man kann auf der anderen Seite auch das Fortbestehen der Liebe zu einen Menschen nicht erzwingen. Leider ist es so, dass Menschen sich auseinanderleben, trennen und scheiden lassen. Der eine Partner verliebt sich in einen anderen. Bei der menschlichen Liebe kann die Glut sehr wohl erlöschen.

 

Gottes Liebe zu den Menschen hingegen vergeht nie. Das macht der Text auch bei der zweiten Sichtweise, also der Liebe Gottes zu uns Menschen, deutlich. Von den christlichen Schriftstellern wurde nämlich das Hohelied auf die Verbindung Christi mit der Kirche oder auf die mystische Einheit der Seele mit Gott ausgedeutet. Die Liebe Gottes lässt sich auch nicht unterdrücken. Das beinhaltet sowohl, dass Gottes Liebe zu einem einzelnen Menschen als auch die zu allen Menschen als seine Geschöpfe sich nicht unterbinden lässt. Das trifft zu für Menschen, die leider keine freie Religionsausübung in ihren Ländern oder in ihrem Umfeld genießen. Die nur mit Vorsicht oder gar heimlich und im Vorborgen ihren Schöpfer anrufen können. Die mit Bedrohung rechnen müssen. Denken wir an die vielen Schwestern und Brüder, die vor allem in muslimischen Ländern um Christi willen verfolgt werden. Es trifft aber auch auf unsere Mitmenschen zu, die sich nicht mit Gott befassen, sich von ihm abgewandt haben, ihn verleugnen oder ablehnen. Auch für sie brennt die Flamme des Herrn. Gott hat seinen Sohn für alle Menschen in die Welt gesandt. Die Glut von Gottes Liebe lässt sich nicht löschen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unser Denken, Fühlen und Handeln in Jesus Christus. Amen.

 

Predigt Januar 2016

Queergottesdienst am 17.01.2016 St. Johanniskirche Nürnberg

Predigt zur Jahreslosung 2016

Gott spricht: „Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“ (Jes. 66, 13)

Liebe Queergemeinde,

Gott spricht: Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Diese Jahreslosung enthält ein wirklich starkes Bild und ruft Erinnerungen an die eigene Kindheit wach. Wie war das als wir von unserer eigenen Mutter getröstet wurden? Irgendwann einmal ist ein jeder von uns mit einem aufgeschürften Knie heulend zur Mama gerannt und wir wurden in den Arm genommen, einfach liebgehabt. Im Anschluss wurde die Verletzung begutachtet:

„Schau mal, das ist doch gar nicht so schlimm. Komm ich hole ein Pflaster, dann wird das wieder gut“.

Erstaunlich wie einfach und wirkungsvoll wir damals getröstet wurden. Wie eine Mutter es im Gespür hat, dass jetzt nicht zu allererst das Fläschchen Jod oder die Arnikaglobuli notwendig sind, sondern dass wir jemanden brauchen der uns in den Arm nimmt und tröstet. Der unser furchterregendes Geheule aushält, der abwartet bis das ungebremste Weinen in ein Schluchzen übergeht und dann den Moment erahnt, wann es Zeit ist, einen Blick auf die eigentliche Verletzung zu werfen und diese mit einem Pflaster zu versorgen.

Später im jugendlichen Alter, wenn Mütter nicht mehr mit aufgeschürften Knien, sondern mit verletzten oder verängstigten Seelen oder verwirrten Teenager-Egos zu tun haben, habe ich oft eine ähnliche Haltung erlebt:

Erst einmal „in den Arm nehmen“. Buchstäblich oder mit Worten. Den Jammer, die Wut, die Angst wahrnehmen und dann schauen was nötig ist, um weiterzuhelfen und zu beruhigen – das heißt: zu trösten. Manchmal war ich überrascht über die scheinbare Einfachheit, mit der meine Mutter meinen Jammer regelrecht weggepustet hat, wenn ich als Jugendlicher immer mal wieder die Krise hatte, weil ich mich überfordert gefühlt habe. „Du packst das schon. Ich denke an dich, ich bete für dich“ – das war damals nicht mehr so ganz das, was ich aus meiner Kindheit kannte. Aber im Nachhinein muss ich erkennen: Sie hatte recht, ich habe es locker geschafft- und inwieweit das meine Leistung oder das Ergebnis von Mamas Gebet war – das wird Gottes Geheimnis bleiben. Und das ist auch gut so!

Nicht umsonst wird schwulen Männern eine besondere Nähe, ja Affinität, zu ihrer Mutter nachgesagt. Ich für meine Person kann das voll und ganz bestätigen. Gerade in der Zeit des „Comming outs“.

Gott spricht: Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Als Kind und Jugendlicher war es die Mutter - und später?  Heute sind es andere Menschen, die uns nahe stehen, die in schlechten Zeiten an unserer Seite bleiben und uns so innere Ruhe und Standfestigkeit vermitteln.

Martin Luther hat einmal gesagt „Erdenk´ dir einen guten Freund, so hast du ein Bild, wie sich Gott dir in Christus darbietet“. Freundschaft als wahres und hohes Gut. Die Älteren unter uns kennen vielleicht das Volkslied „Wahre Freundschaft darf nicht wanken…“, oder die Comedian Harmonists „Ein Freund, ein guter Freund, das ist das beste, was gibt auf der Welt!“ Die Rockgruppe Queen hat es mit „Friends will be friends“ besungen.

In unser Queergemeinde existiert der Begriff der „Wahlverwandschaft“. Das heißt ich erkläre meine besten Freunde zu meinen „Verwandten“ – quasi zu meinem eigenen Fleisch und Blut. Mir fällt spontan das Bild von den Blutsbrüdern Winnetou und Old Shatterhand ein. Freunde stehen für einander ein, halten zusammen und gehen gemeinsam durch dick und dünn.

Gott spricht: Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Ich entdecke, wie wir uns auch von Gott trösten lassen können. Wie auch er diese Rolle der tröstenden Mutter des guten Freundes, der lieben Freundin in unserem Leben spielt. Ein Gott zu dem wir stürmen können, wenn alles nur noch schlimm und schrecklich ist. Ein Gott regelrecht zum Ausheulen. Einer dem wir unsere Angst, Verzweiflung oder Wut erzählen können. Wie gut, dass wir mit Gott so offen im Gebet reden dürfen.

Und viele Menschen können davon berichten, wie aus diesem vertrauten Gespräch mit Gott eine Atmosphäre der Geborgenheit entsteht. Das persönliche Gebet eines jeden einzelnen von uns als Ort, an dem wir Gottes Nähe spüren, geborgen und getröstet sind.

Und so manches Gebet endet dann auch mit dem Gefühl, das diesem „du packst das schon“ aus meiner Jugendzeit ähnelt. Dass wir mit mehr Selbstvertrauen aus dem Gebet herausgehen, als wir hineingegangen sind. Schließlich haben wir mit unserem Schöpfer gesprochen, der uns besser kennt, als wir uns selbst.

Gott spricht: Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Wenn wir die Jahreslosung isoliert betrachten, also nur diese eine Aussage, dann kann dieser Satz leicht missverstanden werden. In welchem Zusammenhang steht die Jahreslosung im Buch des Propheten Jesaja

Die Stadt Jerusalem war auch 80 Jahre nach ihrer Eroberung immer noch ein Trümmerfeld. Die Zerstörungen durch die Babylonier waren gegenwärtig und immer noch zu sehen. Und jetzt kamen die Nachkommen der einst verschleppten Bewohner Jerusalems in die alte Heimat zurück. Da gab es Elend und Spannungen. Die Rückkehrer, die im Ausland geboren worden waren, hofften auf eine Zukunft im Land ihrer Eltern und Großeltern. Sie kamen mit großen Erwartungen. Und da trafen sie auf Bewohner, die sie sehr kühl und zurückhaltend empfingen, die sich um ihren Besitzstand sorgten. „Die kommen da mit nichts, und setzen sich hierhin und erwarten, dass wir ihnen helfen? Wir sind doch selber im tagtäglichen Kampf ums tägliche Brot“!

Was für ein sozialer Sprengstoff und welche Parallelen zu unser heutigen Zeit!

Und in diese Situation der Unsicherheit, der Verzweiflung und der gegenseitigen Feindseligkeit hinein, kommt die Verheißung Gottes, die der Prophet Jesaja weitergibt:

Freut euch über eure Stadt! Seid froh, dass ihr sie habt! Sie wird euch ernähren, wie eine Mutter.

Durch ihre Straßen wird Gerechtigkeit fließen wie ein breiter Strom und der Wohlstand wird kommen, wie ein über die Ufer tretender Bach. Euer Herz wird froh werden und eure müden Knochen werden neue Kraft bekommen. Ihr als Kinder dieser Stadt werdet wie auf Armen getragen, ihr erhaltet liebevolle Zuwendung. Denn: Gott wird euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Liebe Queergemeinde, ihr seht es geht um mehr als ein bisschen „heile heile Segen“ und Gefühlsduselei. Gott der tröstet, wie eine Mutter - ist eben auch wie eine Mutter, ohne die wir gar nicht am Leben wären, ohne die wir schon in den ersten Lebenstagen verhungert wären. Und dieser mütterliche, fürsorgliche Gott wird auch für Gerechtigkeit sorgen und uns geben, was wir zum Leben brauchen.

Gott, als die Mutter, die loszieht um für uns einzutreten, wo unsere Möglichkeiten zu begrenzt sind und unsere Kraft zu klein ist. Eine Mutter, der wir nicht nur unsere Sorgen anvertrauen können, sondern der wir auch vertrauen können, dass sie kann, was wir nicht vermögen. Auch eine Mutter, die zu uns sagt: „Kommt habt keine Angst vor der ungewissen Zukunft, vor dem neuen Jahr mit all seinen Schwierigkeiten und Herausforderungen. Habt Mut, wir packen das! Ich kenne euch ja schon lange genug. Schließlich bin ich doch eure Mutter“!

Liebe Freundinnen und Freunde, da sind wir doch gerne Kinder Gottes. Wenn der den wir himmlischen Vater nennen, so eine fürsorgliche und kraftvolle Mutter sein kann.

Amen

Und der Friede Gottes, der größer und höher ist, als all unsere Vernunft und unser menschliches Denken, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen.

Predigt März 2016

15-jähriges Jubiläum Queergottesdienst Nürnberg am 20. März 2016 in St. Johannis

 

Predigt zu Amos 5,21-24

 

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

 

Ja, liebe Festgemeinde, was sucht man sich als Queergemeinde für einen Predigttext zum 15. Jubiläum heraus? Am besten einen, in dem es selbst um den wahren oder falschen Gottesdienst geht. Denn in unserer Vorbereitungsrunde haben wir auf unsere Queergottesdienst-„Geschichte“ zurückgeblickt, haben überlegt warum und wie wir zum Queergottesdienst gekommen sind und ihn immer noch besuchen. Was spricht uns an, was unterscheidet ihn von den regulären Gemeindegottesdiensten und welche Vorstellungen haben wir für die Zukunft. Und so sind wir auf diesen durchaus provokanten Text gestoßen.

 

Der Prophet Amos zieht in diesem Text ziemlich vom Leder: Er sagt dem Volk Israel unmissverständlich, dass er deren Feiertage überdrüssig ist und diese verachtet, seine Versammlungen kann er nicht ausstehen. In der Einheitsübersetzung heißt es: „Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen.“ Gerade dieser vermeintliche Widerspruch zu unserem heutigen Festgottesdienst und unserer 15-Jahres-Feier finden wir spannend. An Brand- und Speiseopfer findet Amos keinen Gefallen und ihre fetten Dankopfer will er nicht mal ansehen. So heißt die Überschrift zu diesem Bibelabschnitt in der Lutherbibel „Der äußerliche Gottesdienst tut’s nicht“. „Tut weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!“ Amos ist sicher nicht gegen Lieder im Gottesdienst, hat aber was gegen den durchaus einlullenden Klang der Harfe. Ich weiß nicht, ob jemals bei uns Harfe gespielt wurde, aber der Liedauswahl kommt eine wichtige Bedeutung zu: Es ist schön, alte, eingängige und bekannte Lieder zu singen, aber es darf auch mal etwas Neues ausprobiert werden.

 

Unsere Queergottesdienste haben eine wiedererkennbare Struktur, das ist auch wichtig, aber sie werden nicht nach einem 08/15-Schema abgehandelt. Den Vorbereitungsteams wird Platz gelassen das Thema mit Impulsen, meditativen Mitteln oder einem Anspiel der Gemeinde näher zu bringen. Das ist auch der große Vorteil, wenn drei Personen sich in der Vorbereitung Gedanken machen und die Aufgaben verteilen, so dass bestimmte Punkte kreativer ausfallen können als wenn nur eine Pfarrerin oder ein Pfarrer einen Gottesdienst plant und die „Hauptlast“ trägt. Auf der anderen Seite sind drei zur Gestaltung eines Gottesdienstes nötig, zumal wir hauptsächlich aus Laien bestehen. Und was im Israel zu Zeiten des Propheten Amos wohl auch ein Problem war, soll bei uns vermieden werden: Texte sollen verständlich und offen gemacht werden, keine leeren, schalen Worte, kein Politiker-Sprech. Keine zu langen oder akademische Abhandlungen, dafür sind Kirchentagsseminare da. Die Bibeltexte sind in moderner Sprache auszulegen, auch wenn die revidierte Lutherbibel noch nicht vorliegt. Natürlich werden auch regelmäßig andere Übersetzungen verwendet. Kurzum: Wenn nicht verständlich gepredigt wird, dann ist alle Rede umsonst.

 

Für uns gilt – wie für alle Feiern in der Kirche – einen Bezug des Gottesdienstthemas zur Gegenwart herzustellen. Und im Speziellen haben wir Queers die Aufgabe den Bezug des Predigttextes zu unserer Zielgruppe, nämlich ihr queeren Menschen, aufzuzeigen. Das ist, wie ich und das Team wissen, oftmals gar nicht so einfach. Deswegen fragen wir uns bei der Vorbereitung: Was hat das mit meiner queeren Lebenswirklichkeit zu tun? Meist ohne Kinder und Enkelkinder, vielleicht mit dieser „2. Klasse-Ehe“, genannt Lebenspartnerschaft. Eine Minderheit sein, deren strafrechtliche Diskriminierung erst vor 22 Jahren vollständig aufhörte. Wie war es früher mit dem Umgang von homo- und bisexuellen Menschen und Transgender in der Gesellschaft bestellt? Und wie heute, etwa alles palletti? Bei solchen Gedanken im Hintergrund und dem Ziel unserer Besucherschaft etwas Ansprechendes anzubieten, entdecken wir doch oftmals Parallelen, die es lohnt mitzuteilen. Wie ein Familien-, Kinder- oder Jugendgottesdienst sind wir auch ein Zielgruppengottesdienst. Einer, der über die Grenzen von Nürnberg und Mittelfranken hinaus queere Christinnen und Christen anlockt. Es kommen Leute aus Coburg und Augsburg zu uns. Somit sind die Teammitglieder auch regional etwas verstreut, was Vorteil und Nachteil ist. Ein wichtiger Punkt, der nicht als selbstverständlich erachtet werden soll: Der Queergottesdienst ist nur möglich durch das ehrenamtliche Engagement der Teammitglieder, der Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Vikarinnen und Vikare, die das Abendmahl einsetzen, und die Musikerinnen und Musiker, die an der Orgel, in der Queerband oder Posaune spielen. Alle stellen einen Teil ihrer Freizeit zur Verfügung, damit diese Maschinerie Queergottesdienst mit seinen vielen unsichtbaren Aufgaben funktioniert. Ich habe eingangs gesagt, dass wir natürlich auch Wünsche für die Zukunft haben. Nachwuchs unter den Besucherinnen und Besuchern wäre nicht schlecht. Wir wollen, dass neben den langjährigen Teammitgliedern auch Neue hinzukommen, um den Queergottesdienst fortzuführen, dass uns weiterhin Geistliche aus dem Dekanat besuchen, um mit uns das Heilige Abendmahl zu feiern und wieder mehr Musikerinnen und Musiker für uns bereitstehen, um unsere Gottesdienste zu bereichern.

 

Stolz sind wir auf unsere offen vorgetragen Fürbitten. Viele Bitten, manchmal auch Anflehungen, aber auch Dank und Lobpreisung an Gott wurden hier vorne am Taufstein von St. Johannis über die ganzen Jahre von den Betroffenen selbst gesprochen und ein Licht dazu angezündet. Oder auf Kärtchen geschrieben, die dann vom Gottesdienstteam vorgelesen wurden. Ich kenne keinen Gottesdienst, der das auch in dieser Weise tut.

 

Jetzt mache ich einen Sprung zum letzten Vers unseres Predigttextes: „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ Zu diesem Vers muss man zum besseren Verständnis den Hintergrund und die Botschaft des ganzen Buches Amos wissen: Amos war von Haus aus ein Viehzüchter und Maulbeerfeigenpflanzer aus Tekoa, südlich von Bethlehem. Er wurde durch göttliche Berufung gegen Ende der Regierungszeit des politisch und wirtschaftlich überaus erfolgreichen Königs Jerobeam II. nach 760 v. Chr. als Prophet ins Nordreich Israel gesandt, wo er für kurze Zeit bis zu seiner Ausweisung am Reichheiligtum von Bet-El wirkte. Die Hauptanklage dieses ältesten Schriftpropheten richtet sich gegen die des Gottesvolkes unwürdigen Zustände im Staat, in der Verwaltung, im Gerichtswesen und in der Wirtschaft. Weil die oberen Schichten die Menschen niederer Herkunft und ungesicherter sozialer Lage zu bloßen Objekten ihres Erwerbs-, Macht- und Genusstriebs herabwürdigen und so das „Gottesrecht“ brechen, muss Amos das Todesurteil Gottes für das Reich Israel verkünden. Eine auf den Kult beschränkte Verehrung Gottes (wir erinnern uns an die ersten Verse) wird von Amos verworfen. Jahwe ist nach ihm so sehr ein „Gott für den Menschen“, dass selbst die Völkerwelt wegen Unmenschlichkeit und das Zertreten der fundamentalen Menschenrechte seinem Strafgericht verfällt.

 

Wir haben hiermit den Übergang von Amos scharfer Zurechtweisung, dass die Anbetung Gottes nicht durch rein äußerliche Rituale geschehen soll, sondern die Gerechtigkeit von der er schreibt bedeutet auch: Das Wort Gottes soll klar und deutlich und in der Interpretation trotzdem unverfälscht propagiert werden. Das Wort unseres Herrn darf nicht für selbstsüchtige Zwecke missbraucht werden. Und wir im Queergottesdienstteam haben zu diesem Punkt auf uns selbst und untereinander aufzupassen. Nicht, dass das ein großes Problem bei unserer Verkündigung ist, aber alle müssen sich gewahr sein, dass zum Beispiel die Predigt kein Forum ist, um seine eigene Agenda abzuarbeiten. Kritische Reflektion ist immer wieder nötig und hilfreich.

 

Das lebendige Wort Gottes ist wie fließendes Wasser in einem Bach, das Strömen hält es frisch, es fängt nicht an zu stehen und zu stinken. Auch wir Menschen sollen nicht im Denken und Handeln stehen bleiben – wir sollen immer nach Gerechtigkeit streben. Dazu fällt mir ein, dass ein schwuler Freund von mir meinte, es ist gut, wenn man die AfD aus Protest wählt, um „die da oben“ wach zu rütteln, wie es so viele bei den drei Landtagswahlen vergangenen Sonntag getan haben. Über die Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa mag man ja gerne anderer Meinung sein, aber es berechtigt auf jeden Fall uns Christen nicht für Angst, Hass und Vorteile zu stimmen. Vor allem halte ich es für ein Eigentor für uns bei den Meinungen, die dort über nicht heterosexuelle Menschen und Lebensgemeinschaften vertreten werden. Ja, vielleicht gilt hier ganz besonders: Es ist ein Hinfallen und wieder Aufstehen bei dem Streben nach Gerechtigkeit – aber wer liegen bleibt, hat verloren. Zu den Missständen, die der Prophet zu seiner Zeit in Israel erlebt hat (die Zustände im Staatsapparat, in der Verwaltung, in der Justiz und in der Wirtschaft, eine reiche Oberschicht, die die armen Menschen mit geringer oder gar keiner sozialen Absicherung ausnutzt) – dazu fallen uns problemlos zig Beispiele in unserer Zeit und allein in unserem Land ein. Es gibt viel zu tun auf dem Weg zur Gerechtigkeit und wir als Queergemeinde Nürnberg werden auch die nächsten Jahre das lebendige, frische, heilende, tröstende und zur Gerechtigkeit verhelfende Wort des dreieinigen Gottes verkünden. Am liebsten weiterhin in dieser schönen, kleinen Johanniskirche, in der uns die großzügige St. Johannisgemeinde schon lange Raum gibt. Auf die nächsten 15 Jahre so Gott will!

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.